Das Theater im Hof in Kandern eröffnet seine Spielzeit

Das Theater im Hof in Kandern eröffnet seine Spielzeit mit dem Bühnenhörspiel "Ob die Granatbäume blühen".

Das schmale rote Bändchen liegt knapp 90 Minuten unberührt am Rand des Lesetischs vor der Scheune unter der Kastanie im Theater im Hof in Kandern-Riedlingen. Beim Schlussapplaus aber greift Ueli Jäggi nach Gerhard Meiers "Ob die Granatbäume blühen", hebt das Buch sichtbar hoch, unterstreicht die Geste mit einem Fingerzeig. Die Botschaft ist eindeutig: Meier, der 2008 im Schweizer Mittelland verstorbene Autor, und sein Prosatext sind die heimlichen Stars dieses Bühnenhörspiels. Der Schauspieler und Regisseur Jäggi hat den 2005 erschienenen Monolog mit den Musikern Eva Pöpplein und Janko Hanushevsky für Radio und Bühne bearbeitet und für die im Deutschlandradio gesendete Produktion im Februar die Auszeichnung als Hörspiel des Monats bekommen; nun eröffnete das Duo Jäggi/Pöpplein damit das jährliche Sommertheater von Dieter Bitterli und Dorothea Koelbing in deren altem Markgräfler Hof-Ensemble am Fuß des Blauen.

Gerhard Meier ist tatsächlich so etwas wie ein hidden Champion der Literatur, ein Spätberufener, aus dem Abseits der helvetischen Provinz am Südfuß des Jura im Grenzgebiet der Kantone Bern und Solothurn, der er zeitlebens treu blieb. Seinen ersten Text veröffentlichte er mit 47 Jahren Anfang der 60er-Jahre; geschrieben hat er seitdem eher wenig – ein Meister der Entschleunigung, längst bevor die Langsamkeit literarisch wiederentdeckt wurde. "Ob die Granatbäume blühen" knüpft dabei an den Tod seiner Frau an, mit der er sechs Jahrzehnte zusammenlebte; "Dorli" nannte Meier sie und so unterbricht auch Jäggi den Lesefluss immer wieder durch ein akzentuiertes "Dorli!".

Jahre nach deren (krankheitsbedingtem) Tod 1997 lässt der Text das gemeinsame Leben, Lieben und Leiden Revue passieren, beschwört es geradezu herauf, kehrt real oder imaginär zurück an gemeinsam besuchte Orte, erinnert Lektüren, montiert aber auch profane biografische Fakten und eidgenössische Befindlichkeiten in das Textgewebe. Dabei gleitet er fast unmerklich von der monologischen Erinnerung ins dialogische Zwiegespräch, mäandert zwischen Ich und Du. Meier vermengt Natur-, Kultur- und Beziehungsleben in einem gleichsam synästhetischen Rausch, zelebriert Abschied – vom Gegenüber im Besonderen, aber auch vom Leben und seinem Facettenreichtum im Allgemeinen.

Dabei verwischt der Text die Grenzen zwischen Erinnern und Fantasieren, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, switched zwischen Ebenen, überblendet Sinneseindrücke. So entsteht ein poetisches Fluidum, in dem Natur und Kultur, Emotion und Reflexion ein fesselndes Amalgam bilden: Es herrscht eine beschwingte Schwermut, die Eva Pöpplein mit ihren synthetischen Klangcollagen, pulsenden, kratzenden oder schabenden Tonfolgen, sphärischen oder schwelgerischen Harmonien verstärkt und zum Dialog erweitert, und die bekanntes Personal aus der Abteilung Literatur- und Kulturgeschichte illuster anreichert.

Da irrlichtern Peter Handkes "Noch einmal für Thukydides" durch den Hof und diverse Bibelverse; da bevölkert aber auch Friedrich Nietzsche die Szenerie, Marcel Proust, Rilke, Eichendorff, Joseph Roth, der Komponist Chopin oder Theodor Fontane, dessen epochalen Roman "Der Stechlin" Meier auf die einfache Tatsache reduziert, dass da zwei Leute heiraten, einer stirbt und sonst nicht viel passiert. Auch Hotspots der literarischen Landkarte leuchten auf – Sils Maria, dieses Intellektuellen-Refugium des frühen 20. Jahrhunderts, oder Wien. Und immer wieder rückt der greise Schuhputzer aus Split, eine Figur Handkes, und dessen Einsamkeit ins Bild. Es ist eine suggestive, poetische Welt, die die Rosen und Lilien, Rittersporn und Akazien, das Blau des Himmels und die Schmetterlinge, die zahlreich durch den Text flattern, vor dem inneren Auge aufscheinen lässt und sich bestens einfügt in die spezielle Atmosphäre im Theater im Hof.

Theater im Hof bis 8. August; als Nächstes: "ché accordéon", Akkordeonmusik mit Melanie Barth, 31. Juli; "Sanfte Gewalt", Ursula Andermatt liest Briefe von Thomas Brasch, 1. August; je 20.30 Uhr; Kandern-Riedlingen, Ortsstraße 15; Tickets: Tel. 07626/972081

von Michael Baas
am Mi, 29. Juli 2015

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