Die Zwänge des heutigen Lebens
Sabine K Braun, Marianne Maul
Dergleichen ward, wir legen uns fest, noch nicht gesehen. Ufos haben die Räume der Galerie Claeys in Freiburg geentert, Besucher aus dem All sich auf Regalen oder an den Wänden niedergelassen, so scheint es. Zwischendurch hängt Spektakuläres von der Decke, etwa ein "Rasterkugelstern". Zwar wecken manche Objekte terrestrische Assoziationen: Sporenartige oder eiförmige Gebilde evozieren Organisches; Würfel und zylindrische Formen gemahnen an Menschenwerk. Vollkommen inkommensurabel aber sind diese an verschiedenen Stellen postierten, fulminanten netzartigen Gebilde. Einige komplexe filigrane Strukturen auch, die sich am ehesten mit vielschichtigen Molekülmodellen vergleichen lassen.
Sabine K Braun fertigt ihre bisweilen geräumigen, dabei stets kleinteilig-durchbrochenen Plastiken in penibler Kleinarbeit. Man will nicht glauben, dass alles aus Papier und handgemacht ist. Doch setzen sich ihre Arbeiten ausnahmslos aus kleinen, stäbchenförmigen Gebilden aus Packpapier zusammen, die sie manchmal mit Farbe bemalt und bisweilen mit Nylonfaden verbindet – pur können die Fäden in "Unendlichen Verknüpfungen" ganze Räume füllen wie im Kunstverein Biberach. In der netzartigen Struktur finden diese Arbeiten ein Pendant etwa in einer bewegten "Wellenschleife_grün" oder einem sensationellen "Wirbel" aus Papier. "Migräne", eine aufgebrochene und von Stäbchen durchbrochene Kapselform, wirkt, wie der Phantasie eines Hieronymus Bosch entstiegen.
Der Künstlerin aus Stuttgart tritt die Freiburgerin Marianne Maul zur Seite. Zeichnend spielt sie die grafischen Qualitäten winterlicher Natur aus: kahles Geäst in den Bäumen, Landschaften, in denen sich Schneeflächen und Walddunkel abwechseln. Schwarz und Weiß, Null und Eins: Man könnte diese Zeichenkunst digital nennen, gäbe es als Grauabstufung nicht auch "Nebel überm Tann" oder geisterhafte Übergänge in Graphit oder Kohle. Auch zerklüftetes Gebirge oder zerbrochenes Eis stellen sich ausdrucksvoll im Positiv-Negativ-Schema dar. Stets geht es dabei um immanente Brüchigkeit, um die Auflösung, Aufsplitterung einer Einheit – wie sie in der Zerlegung einer Landschaft in getrennte Bilder selbst am Werk ist.
Catherine und Johannes Bierling
Gebirge gibt es auch in Island, und nicht weniger gut lassen sich Fjorde in den Gegensatz von Schwarz – Festland und Weiß – Wasser fassen. Der Freiburger Johannes Bierling tut dies in Linolschnitten und Kaltnadelradierungen, die, zu Kassettenwerken zusammengefasst, im Kunstverein March von Gedichten seiner Gattin Catherine begleitet werden. 2015 waren die beiden Artists in Residence in Siglufjördur im Norden Islands. Die dort nicht vorhandenen Fjorde fanden sie auf den Färöer-Inseln.
Impressionen aus Siglufjördur: Die Skyline des Fleckens auf dem orangefarbenen Feld eines Ortsschilds, ein Geysir oder das nahe Gebirge sind Motive der Linolschnitte; dazu stark stilisierte Wikinger mit Stierhelm oder eine mit Fischen jonglierende Nixe. Blaubeeren-Drucke (die Bláber ist in Island sehr beliebt) kultivieren auf Einladungskarten den informellen Fleck; zwei gefüllte Konfitüregläser sind, leider, nur zum Anschauen da. Die Radierungen zeigen Fjorde und Gebirge im Gegensatz von Schwarz und Weiß. Hier und da entsteht zusätzliche Spannung durch gegenläufige Schraffuren.
Melanie Siegel
Melanie Siegel, gebürtig aus Freiburg, war bis 2015 Meisterschülerin bei Karin Kneffel in München. Auch für sie ist Natur ein zentrales Thema – nicht großräumig als Landschaft, sondern im engen Ausschnitt, zusammengepfercht mit Architektur und Technik. Tatsächlich fehlt sie in keinem der meist kleinformatigen Ölbilder und Aquarelle im Kunstverein Kirchzarten. Noch in der irrealen Zustandsbeschreibung eines Strommasts ist sie als umfangendes Blau des Himmels präsent. Umgekehrt wird sie in Gewächshäusern überwölbt von rasterartiger Glasarchitektur.
Das Spannungs- ist auch ein Komplementärverhältnis. Hier vegetabilisches Wuchern ohne Ordnung und Regel; dort das Regiment des Rasters, die Herrschaft der Geometrie in Architektur, Gartentor oder Zaun. Beide Bereiche beäugen sich argwöhnisch, wahren misstrauisch Distanz. Fehlt der Gegenpol aber mal oder ist so fern wie das Blau des Himmels, schlagen beide Bereiche aus der Art und wechseln geradewegs in den Gegensatz hinüber. Der Strommast spielt im Aufbau verrückt, während die superschlanken, dicht stehenden Stämme eines Nadelwalds wie mit dem Lineal gezogen scheinen. Dagegen hält noch eine ferne Häuserzeile das Informel des winterlichen Ackers in Schach. Vergebens hebt in einem Aquarell eine Statue – der berühmten amerikanischen der Freiheit gleich – die Fackel: wortloses Statement zu den Zwängen, der Naturferne und Künstlichkeit heutigen Lebens.
Dergleichen ward, wir legen uns fest, noch nicht gesehen. Ufos haben die Räume der Galerie Claeys in Freiburg geentert, Besucher aus dem All sich auf Regalen oder an den Wänden niedergelassen, so scheint es. Zwischendurch hängt Spektakuläres von der Decke, etwa ein "Rasterkugelstern". Zwar wecken manche Objekte terrestrische Assoziationen: Sporenartige oder eiförmige Gebilde evozieren Organisches; Würfel und zylindrische Formen gemahnen an Menschenwerk. Vollkommen inkommensurabel aber sind diese an verschiedenen Stellen postierten, fulminanten netzartigen Gebilde. Einige komplexe filigrane Strukturen auch, die sich am ehesten mit vielschichtigen Molekülmodellen vergleichen lassen.
Sabine K Braun fertigt ihre bisweilen geräumigen, dabei stets kleinteilig-durchbrochenen Plastiken in penibler Kleinarbeit. Man will nicht glauben, dass alles aus Papier und handgemacht ist. Doch setzen sich ihre Arbeiten ausnahmslos aus kleinen, stäbchenförmigen Gebilden aus Packpapier zusammen, die sie manchmal mit Farbe bemalt und bisweilen mit Nylonfaden verbindet – pur können die Fäden in "Unendlichen Verknüpfungen" ganze Räume füllen wie im Kunstverein Biberach. In der netzartigen Struktur finden diese Arbeiten ein Pendant etwa in einer bewegten "Wellenschleife_grün" oder einem sensationellen "Wirbel" aus Papier. "Migräne", eine aufgebrochene und von Stäbchen durchbrochene Kapselform, wirkt, wie der Phantasie eines Hieronymus Bosch entstiegen.
Der Künstlerin aus Stuttgart tritt die Freiburgerin Marianne Maul zur Seite. Zeichnend spielt sie die grafischen Qualitäten winterlicher Natur aus: kahles Geäst in den Bäumen, Landschaften, in denen sich Schneeflächen und Walddunkel abwechseln. Schwarz und Weiß, Null und Eins: Man könnte diese Zeichenkunst digital nennen, gäbe es als Grauabstufung nicht auch "Nebel überm Tann" oder geisterhafte Übergänge in Graphit oder Kohle. Auch zerklüftetes Gebirge oder zerbrochenes Eis stellen sich ausdrucksvoll im Positiv-Negativ-Schema dar. Stets geht es dabei um immanente Brüchigkeit, um die Auflösung, Aufsplitterung einer Einheit – wie sie in der Zerlegung einer Landschaft in getrennte Bilder selbst am Werk ist.
Catherine und Johannes Bierling
Gebirge gibt es auch in Island, und nicht weniger gut lassen sich Fjorde in den Gegensatz von Schwarz – Festland und Weiß – Wasser fassen. Der Freiburger Johannes Bierling tut dies in Linolschnitten und Kaltnadelradierungen, die, zu Kassettenwerken zusammengefasst, im Kunstverein March von Gedichten seiner Gattin Catherine begleitet werden. 2015 waren die beiden Artists in Residence in Siglufjördur im Norden Islands. Die dort nicht vorhandenen Fjorde fanden sie auf den Färöer-Inseln.
Impressionen aus Siglufjördur: Die Skyline des Fleckens auf dem orangefarbenen Feld eines Ortsschilds, ein Geysir oder das nahe Gebirge sind Motive der Linolschnitte; dazu stark stilisierte Wikinger mit Stierhelm oder eine mit Fischen jonglierende Nixe. Blaubeeren-Drucke (die Bláber ist in Island sehr beliebt) kultivieren auf Einladungskarten den informellen Fleck; zwei gefüllte Konfitüregläser sind, leider, nur zum Anschauen da. Die Radierungen zeigen Fjorde und Gebirge im Gegensatz von Schwarz und Weiß. Hier und da entsteht zusätzliche Spannung durch gegenläufige Schraffuren.
Melanie Siegel
Melanie Siegel, gebürtig aus Freiburg, war bis 2015 Meisterschülerin bei Karin Kneffel in München. Auch für sie ist Natur ein zentrales Thema – nicht großräumig als Landschaft, sondern im engen Ausschnitt, zusammengepfercht mit Architektur und Technik. Tatsächlich fehlt sie in keinem der meist kleinformatigen Ölbilder und Aquarelle im Kunstverein Kirchzarten. Noch in der irrealen Zustandsbeschreibung eines Strommasts ist sie als umfangendes Blau des Himmels präsent. Umgekehrt wird sie in Gewächshäusern überwölbt von rasterartiger Glasarchitektur.
Das Spannungs- ist auch ein Komplementärverhältnis. Hier vegetabilisches Wuchern ohne Ordnung und Regel; dort das Regiment des Rasters, die Herrschaft der Geometrie in Architektur, Gartentor oder Zaun. Beide Bereiche beäugen sich argwöhnisch, wahren misstrauisch Distanz. Fehlt der Gegenpol aber mal oder ist so fern wie das Blau des Himmels, schlagen beide Bereiche aus der Art und wechseln geradewegs in den Gegensatz hinüber. Der Strommast spielt im Aufbau verrückt, während die superschlanken, dicht stehenden Stämme eines Nadelwalds wie mit dem Lineal gezogen scheinen. Dagegen hält noch eine ferne Häuserzeile das Informel des winterlichen Ackers in Schach. Vergebens hebt in einem Aquarell eine Statue – der berühmten amerikanischen der Freiheit gleich – die Fackel: wortloses Statement zu den Zwängen, der Naturferne und Künstlichkeit heutigen Lebens.
Galerie Claeys, Kirchstraße 37, Freiburg. Bis 29. April, Do 9–13 Uhr, Fr 15–18 Uhr;
Kunstverein March, Am Felsenkeller 4 (Altes Pfarrhaus). Bis 27. März, Sa 16–18 Uhr, So 11–18 Uhr.
Kunstverein Kirchzarten, Burger
Straße 8. Bis 20. März, Fr bis So 17–19 Uhr.
von Hans-Dieter Fronz
Kunstverein March, Am Felsenkeller 4 (Altes Pfarrhaus). Bis 27. März, Sa 16–18 Uhr, So 11–18 Uhr.
Kunstverein Kirchzarten, Burger
Straße 8. Bis 20. März, Fr bis So 17–19 Uhr.
am
Mi, 09. März 2016