Interview

Lars Kraume: "Dieses merkwürdige Schweigen "

Der Regisseur Lars Kraume spricht über seinen neuen Film "Das schweigende Klassenzimmer", in dem er sich erneut mit der Nachkriegszeit in Deutschland auseinandersetzt.

Nach seinem Politthriller "Der Staat gegen Fritz Bauer" (2016) setzt Lars Kraume (45) sich in dem Drama "Das schweigende Klassenzimmer" nun erneut mit der Nachkriegszeit in Deutschland auseinander. Eine Schweigeminute von Schülern anlässlich des Ungarischen Volksaufstands 1956 versetzte in der damaligen DDR die Volkswächter in Aufruhr. Markus Tschiedert sprach mit dem in Frankfurt aufgewachsenen Kraume, der am heutigen Freitag seinen Film in Freiburg (Kino Kandelhof, 20.30 Uhr) vorstellt, in Berlin.

Ticket: Sie setzen sich ein zweites Mal mit deutscher Nachkriegsgeschichte auseinander. Welche Unterschiede beziehungsweise Gemeinsamkeiten sehen Sie während dieser Zeit zwischen Bundesrepublik und DDR?
Kraume: Der große Unterschied ist natürlich, dass sich verschiedene Gesellschaftsmodelle gegenüberstanden – Kapitalismus gegen Sozialismus, und in beiden Systemen gab es andere Frauen- und Familienbilder, ebenso andere Werte. Aber was man gemeinsam hatte, war dieser Schock nach dem Faschismus, die Ohnmacht, mit dieser Vergangenheit umzugehen, und die Sprachlosigkeit der Elterngeneration. In der DDR hieß es dann einfach, die Faschisten sind alle drüben im Westen, und wir sind die Antifaschisten.
Ticket: Warum finden Sie diese Zeit denn so spannend?
Kraume: Diese ganze komplexe Geschichte, also wer hat was im Krieg gewusst oder geduldet, wer hat mitgemacht oder kollaboriert, führte bei der Elterngeneration zu Problemen, die aber auf beiden Seiten Deutschlands negiert und verheimlicht wurden. Mein Interesse daran wurde durch die Recherche zu "Der Staat gegen Fritz Bauer" geweckt. Ich dachte, was für ein Wahnsinn, dass der Bauer ganz offensichtlich nicht mehr im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit ist. Ich fragte mich, die 50er Jahre, was war das eigentlich für eine Zeit?
Ticket: Haben Sie nach zwei Filmen eine Antwort darauf?
Kraume: Für mich war das bis dahin immer eine relativ unattraktive Zeit. Die Musik war okay, aber der Rest war eigentlich bieder. Für mich wurde diese Zeit erst spannend durch dieses merkwürdige Schweigen und durch die Vorstellung, dass in jeder Gasse die Gespenster dieses Holocausts und dieses Krieges hingen. Das muss ein unfassbares Trauma gewesen sein. Es war aber auch die Zeit, in der sich meine Eltern kennen gelernt haben. Sie sind genau die Generation der Schüler von "Das schweigende Klassenzimmer".
Ticket: Wie sehr entspricht "Das schweigende Klassenzimmer" den wahren Geschehnissen von 1956?
Kraume: Die Geschichte ist passiert, die Biografien sind erfunden. Die Figur von Kurt basiert jedoch auf Dietrich Garstka, dem Autor des Buches "Das schweigende Klassenzimmer". Kurt wird im Film als erstes verraten und muss dann in den Westen gehen.
Ticket: Wie war das bei Ihnen? Gab es ein Aufbegehren innerhalb der Familie?
Kraume: Das gab es bei mir nur in kleinen Dosen. Mein Vater war Grafiker, wollte aber eigentlich Künstler werden, wofür sein Vater kein Verständnis hatte. Deshalb war mein Vater immer sehr locker. Meine Eltern haben mich immer bei allem unterstützt.
Ticket: Wollen Sie auch in Zukunft weiterhin deutsche Vergangenheit filmisch aufarbeiten, oder reizt Sie mal wieder ein Science-Fiction-Projekt, wie Sie es 2010 mit "Die kommenden Tage" schon abgeliefert hatten?
Kraume: Beides! Ich habe eine Serie geschrieben über das Bauhaus in der Weimarer Zeit. "Die kommenden Tage" war im Kino leider ein Flop. Aber in der neuen Euphorie der Dramaserie würde man den Stoff heute ganz anders rezipieren. Es gibt eine Fassung von "Die kommenden Tage", die vier Stunden lang ist. Mehr Zeit würde der Komplexität sicherlich sehr gut tun. Nur leider wurde das Projekt nicht zu Ende produziert.
Das schweigende Klassenzimmer

Regie: Lars Kraume

Mit Leonard Scheicher, Tom Gramenz, Ronald Zehrfeld, Burghart Klaußner, Jördis Triebel, Florian Lukas

und anderen.
111 Minuten, frei ab 12 Jahren

Die Story
1956 hören Jugendliche in Stalinstadt verbotenerweise Westradio und erfahren so vom Volksaufstand in Ungarn. Weil sie kurz vor Unterrichtsbeginn deshalb eine Schweigeminute einlegen, fürchtet die Schulleitung einen Aufstand. Sogar der Volksbildungsminister (Burghart Klaußner) kommt und droht den Abiturienten mit Schulverweis, falls sie ihm nicht den Rädelsführer verraten...

von Markus Tschiedert
am Fr, 02. März 2018 um 00:00 Uhr

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