Filmbiografie

Ein freier Geist in einem geschundenen Körper

FILMBIOGRAFIE: "Die Entdeckung der Unendlichkeit".

Die Kamera ist in Bewegung. Sie eilt dem sympathischen Cambridge-Studenten hinterher, der mit dem Fahrrad durch die engen Gassen der beschaulichen Universitätsstadt rast. Später kreist sie um das junge Paar, das sich beim ersten Tanz näher gekommen ist. Über ihnen der Sternenhimmel, vor ihnen die Glücksversprechungen einer gemeinsamen Zukunft. Bald danach stürzt die Kamera mit dem vielversprechenden jungen Wissenschaftler, dessen Kopf mit ganzer Wucht auf das Pflaster knallt. Das könnte der Anfang vom Ende einer tragischen Geschichte sein. Aber der Mann, der hier aufgrund der unheilbaren Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) zu Boden ging, ist der Brite Stephen Hawking, der sich der Tragik seines Schicksals entzogen hat und mit seinen Arbeiten zur Kosmologie, Allgemeinen Relativitätstheorie und zur Physik der Schwarzen Löcher heute einer der angesehensten Wissenschaftler unserer Zeit ist.

Nur zwei Jahre haben die Ärzte ihm damals in den frühen 60ern gegeben. Mittlerweile ist der bewegungsunfähige Hawking fast 73 und hat sich eine beeindruckende Karriere aufgebaut. Es ist die Geschichte eines Mannes, der den radikalen körperlichen Einschränkungen die Kraft des eigenen freien Geistes entgegensetzte. James Marsh bringt mit "Die Entdeckung der Unendlichkeit" das wendungsreiche Schicksal dieses ungewöhnlichen Mannes auf die Leinwand und stützt sich dabei auf die Memoiren seiner Frau Jane.

Als Studenten lernen sich die beiden in Cambridge kennen, und auch als die fatale Diagnose kommt, hält Jane (Felicity Jones) an den Heiratsplänen fest, ohne zu wissen, was in den kommenden Jahren auf sie zukommt. Sie stellt die eigene akademische Karriere zurück, widmet sich den drei Kindern und der Pflege des Ehemannes (Eddie Redmayne), dessen bahnbrechende Ideen in der internationalen Wissenschaftswelt gefeiert werden.

Marsh glorifiziert weder Janes Aufopferungsbereitschaft noch Hawkings tapferen Umgang mit der zunehmenden Behinderung. Vielmehr zeigt er beides als Entwicklungen, die eher durch den unberechenbaren Krankheitsverlauf als von aktiven Lebensentscheidungen gelenkt werden. Auch wenn die tiefe emotionale Verbundenheit des Paares nicht immer ganz kitschfrei ausformuliert wird, bleibt die Beziehung auch in Krisensituationen und im Verlauf der Trennung schlüssig. Diese Grundversöhnlichkeit, mit der der Film klassische Beziehungskonflikte verhandelt, mag beschönigend erscheinen, wirkt aber in einer Liebe, die weitaus schlimmere Schicksalsschläge durchlebt hat, durchaus glaubwürdig.

Dennoch merkt man dem Film an seiner geschmäcklerischen Sepiatönung und dem forcierten Soundtrack deutlich an, dass er auch als inspirierender Wohlfühlfilm für die Oscarsaison konzipiert ist. Eddie Redmayne ("My Week With Marilyn", "Les Miserables") hätte jedenfalls eine Nominierung verdient. Mit enormer Präsenz und ohne Tour-de-Force-Allüren spielt er seine Figur in den verschiedenen Stadien der zerstörerischen Krankheit und bringt auch durch die körperlichen Limitierungen hindurch den Witz, den Charme und den wachen Geist Hawkings zum Leuchten.
– "Die Entdeckung der Unendlichkeit" von James Marsh läuft ab Donnerstag in Freiburg und Basel. (Ohne Altersbeschränkung)
von Martin Schwickert
am Mi, 24. Dezember 2014

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