Ein Kotzbrocken tut gut

KOMÖDIE: St. Vincent.

Die erste Szene ist ein kleiner Schock. Da sitzt Bill Murray alt und unrasiert, mit wirrem Haar rauchend an einer Bar und erzählt einen Witz. Die Stimme verrät, dass er angetrunken ist, unfreundlich, schlecht gelaunt. Und das tut gut. Eigentlich hat man ihn nämlich schon lange mal wieder so sehen wollen: nicht als den putzigen Onkel, zu dem ihn Wes Anderson in seinen Filmen stilisierte, sondern als jemand, dem man Depression, Alkoholsucht, Down-and-out-Sein abnimmt.

Und das ist dieser Vincent, den Murray hier spielt: ein einsamer Vietnamveteran, ein Trinker und Spieler ohne Freunde und Geld. Als Umzugsfahrer seinen Baum im Vorgarten beschädigen, hängt er ihnen gleich noch den zuvor selbst umgefahrenen Gartenzaun an und einigt sich mit der neuen Nachbarin (Melissa McCarthy). Ein ähnlicher "Glücksfall" ereignet sich tags darauf, als deren Sohn Oliver (Jaeden Lieberher) bei ihm Unterschlupf sucht. Seine Mutter, frisch geschieden, kann den neuen Arbeitsplatz nicht verlassen, und Vincent hat keine Skrupel, sich die "Babysitting"-Stunden von ihr bezahlen zu lassen. Gerade weil er als Vorbild und Pädagoge so ungeeignet ist, gelingt es Vincent, Oliver wichtige Lebenserfahrungen zu vermitteln. Und gerade weil der ein so kluger Junge ist, sieht er in Vincent Qualitäten, die dieser lieber verborgen hält. So abgenutzt diese Geschichte ist, so viel Vergnügen bereitet sie in der Ausführung von Murray und Lieberher. Selten wurde die These, dass Kindern eine Lektion in schlechtem Benehmen oft guttut, überzeugender vorgetragen. So verzeiht man dem Film sein sentimental-seifiges Ende und sein sträflich unterbeschäftigtes Topensemble (Naomi Watts als russisches Callgirl, Chris O’Dowd als progressiver, katholischer Lehrer, Terrence Howard als sanfter Kredithai), weil man eben Bill Murray stundenlang zuschauen kann, auch wenn er nur rauchend Topfpflanzen bewässert.
– "St. Vincent" von Theodore Melfi läuft flächendeckend. (Ab 6)
von Barbara Schweizerhof
am Do, 08. Januar 2015

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