Elvis und der Straßenkreuzer

Matt Henry inszeniert Fotos im Stil der 60er- und 70er-Jahre.

Wenn ein Dutzend halbbekleideter Hippies in perfekter Meditationshaltung in einem amerikanischen Nationalpark um eine überlebensgroße Skulptur herumtanzt, glaubt man sich im falschen Film. Welcome to the Sixties. Alles echt – nur die Zeit stimmt nicht. Matt Henry fotografiert die skurrile Szene im Jahr 2014 – mit authentischen Klamotten und allerlei altertümlichen Requisiten.

Henry ist ein Geschichtenerzähler und ein Meister der Inszenierung. Das Leben (und der Mief) in den US-amerikanischen Kleinstädten der 60er- und 70er-Jahre sind sein Sujet. Rollkragenpullover, blondierte Haare und pastellfarbene Blumenkleider schmücken seine Fotos, die allesamt zwischen 2007 und 2015 entstanden sind.

Matt Henry schreibt detaillierte Storyboards für seine Bilder, und er scheut weder Mühe noch Aufwand, um immer neue pseudorealistische Szenerien zu erschaffen. So platziert er einen hellgrün lackierten Straßenkreuzer an die Zapfsäule einer verlassenen Tankstelle und drapiert dazu in nächtlichem Ambiente seine Figuren fast wie auf einer Theaterbühne.

Irgendwie surreal wirken auch die Motelgäste, die sich in einem Zimmer mit schrillen Möbeln – Typ Sechziger-Jahre-Design – anscheinend ganz wohlfühlen.

Matt Henry interessiert sich aber auch für die Kunst und die Politik in jener Zeit: So lässt er etwa den Sänger Elvis Presley mal als Minifigur am Rückspiegel eines alten Autos baumeln und ein ander mal, sehr geschickt arrangiert, in einem riesengroßen Puzzle auf dem Fußboden eine Wohnraumes erscheinen.

US-Präsident Richard Nixon ist in Henrys Fotografien wohl ebenso unbeliebt wie das militärische Engagement der USA in Südostasien: Ganz dem Zeitgeist entsprechend zeigt er junge Studenten in biederem Gewand, die am Boden sitzend kämpferische Parolen auf Transparente malen für eine Demonstration gegen den Vietnam-Krieg – symbolkräftiges Zeichen einer aufmüpfigen Protestgeneration in den frühen Siebzigern. Ein Bildband voller überraschender Effekte.

Matt Henry: Short Stories. Kehrer Verlag, Heidelberg/Berlin 2016. 112 Seiten, 72 Farbfotos, 39,90 Euro
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von Wolfgang Grabherr
am Sa, 23. April 2016

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