"Es ist diese Gleichzeitigkeit"
Ihren Durchbruch feierte Doris Dörrie (60) in den Achtzigern mit den Komödien "Männer" und "Ich und Er". Aber sie beschäftigt sich ebenso mit ernsten Themen und stellte auf der diesjährigen Berlinale mit "Grüße aus Fukushima" ihren vierten Film vor, den sie größtenteils in Japan drehte. Eine Herzensangelegenheit für die gebürtige Hannoveranerin, die eine enge Bindung zu dem fernöstlichen Land verspürt. Markus Tschiedert sprach mit der Regisseurin.
Ticket: Sie haben eine besondere Bindung zu Japan. Die Nachricht vom Kernkraftunglück in Fukushima vor fünf Jahren muss Sie umso härter getroffen haben...
Doris Dörrie: Das war ein Schock – wie für alle. Dann erfuhr ich von Freunden in Tokio, dass sie verletzt und traurig waren, weil fast alle Westler aus ganz Japan abgehauen und nie wieder zurückgekommen sind. Da bekam ich ein schlechtes Gewissen, und nach sechs Monaten beschloss ich, hinzufahren und mir anzusehen, was passiert ist.
Ticket: War Ihnen dabei nicht mulmig?
Dörrie: Klar, damals war es ja auch noch Sperrzone, und die Strahlung war um ein Vielfaches höher. Ich besuchte damals auch die Leute in den Notunterkünften. Jeder dachte, es wird sich wieder ändern, doch nach fünf Jahren sitzen immer noch alle da, und daran wird sich auch nichts mehr ändern.
Ticket: Weil sich auch politisch nichts geändert hat?
Dörrie: Eigentlich schon, denn Premierminister Naoto Kan hatte ziemlich gut reagiert und Hierarchien übersprungen, um in seinem gesetzten Rahmen die Katastrophe zu managen. Den haben sie dann aber abgewählt und sich Shinzõ Abe geholt, der insgesamt eine fatale Politik betreibt und auch wieder ans Netz ging.
Ticket: Wie reagierte die Bevölkerung darauf?
Dörrie: Am Jahrestag der Katastrophe findet in Tokio eine große Demonstration statt. Die Teilnehmer sind inzwischen durchschnittlich ungefähr 75. Die Jüngeren demonstrieren fast nicht mit. Ich habe mit jungen Leuten im Filmteam gesprochen, die meinten, dass es verlogen wäre, gegen Atomkraft zu sein, wenn man doch eigentlich nur will, dass der Computer läuft.
Ticket: Lässt sich das erklären?
Dörrie: In Japan gab es nie wirklich eine demokratische Kultur des Widerstandes – außer 1968 im Studentenprotest gegen den Flughafenbau von Narita. Und es wurde immer vermittelt, dass es eine böse Atomenergie in Form der Atombombe und die gute Atomenergie in Form der sauberen Kernenergie gibt. Das ist stark in den Köpfen drin.
Ticket: Spielt da nicht auch die Mentalität der Japaner eine Rolle?
Dörrie: Ich glaube, das hat eher mit einer größeren Gewöhnung an Katastrophen zu tun. Japaner leben ständig mit Naturkatastrophen und es gibt dadurch eine Bereitschaft, Dinge zu akzeptieren, zu dulden.
Ticket: Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki gehören sicherlich auch dazu. Besteht da im öffentlichen Bewusstsein eine Brücke zu Fukushima?
Dörrie: Nein. Es gibt ein neues Pressegesetz. Wenn Sie als Journalist negativ über Japan berichten und das als Whistleblowing angesehen wird, drohen ihnen Strafen. Nur die alternativen Medien greifen das Thema auf, davon gibt es einige, nur nicht im großen Stil.
Ticket: "Grüße aus Fukushima" ist Ihr vierter Film, der in Japan spielt. Was fasziniert Sie an diesem Land?
Dörrie: Darauf habe ich keine einfache Antwort. Es ist diese Gleichzeitigkeit in Japan. Zum einen ist man dort so detailverliebt und ästhetisch. Zum anderen gibt es dann diese irrsinnige Trash-Kultur. Beton und Naturverwüstung gibt es genauso wie die Anbetung der Natur. Das finde ich sehr faszinierend.
Ticket: Im Film reist eine Deutsche nach Japan, die wie ein Alter Ego der jungen Doris Dörrie wirkt...
Dörrie: Ja, es gibt Überschneidungen. Als große Frau aus dem Westen werde ich in Japan immer noch als "Elefant im Porzellanladen" wahrgenommen, wie jeder Ausländer – weil ich selbst nach 25 Jahren nicht alles richtig machen kann. Das ist die traditionelle Rolle von uns Langnasen, wie wir genannt werden.
von tsc
Doris Dörrie: Das war ein Schock – wie für alle. Dann erfuhr ich von Freunden in Tokio, dass sie verletzt und traurig waren, weil fast alle Westler aus ganz Japan abgehauen und nie wieder zurückgekommen sind. Da bekam ich ein schlechtes Gewissen, und nach sechs Monaten beschloss ich, hinzufahren und mir anzusehen, was passiert ist.
Ticket: War Ihnen dabei nicht mulmig?
Dörrie: Klar, damals war es ja auch noch Sperrzone, und die Strahlung war um ein Vielfaches höher. Ich besuchte damals auch die Leute in den Notunterkünften. Jeder dachte, es wird sich wieder ändern, doch nach fünf Jahren sitzen immer noch alle da, und daran wird sich auch nichts mehr ändern.
Ticket: Weil sich auch politisch nichts geändert hat?
Dörrie: Eigentlich schon, denn Premierminister Naoto Kan hatte ziemlich gut reagiert und Hierarchien übersprungen, um in seinem gesetzten Rahmen die Katastrophe zu managen. Den haben sie dann aber abgewählt und sich Shinzõ Abe geholt, der insgesamt eine fatale Politik betreibt und auch wieder ans Netz ging.
Ticket: Wie reagierte die Bevölkerung darauf?
Dörrie: Am Jahrestag der Katastrophe findet in Tokio eine große Demonstration statt. Die Teilnehmer sind inzwischen durchschnittlich ungefähr 75. Die Jüngeren demonstrieren fast nicht mit. Ich habe mit jungen Leuten im Filmteam gesprochen, die meinten, dass es verlogen wäre, gegen Atomkraft zu sein, wenn man doch eigentlich nur will, dass der Computer läuft.
Ticket: Lässt sich das erklären?
Dörrie: In Japan gab es nie wirklich eine demokratische Kultur des Widerstandes – außer 1968 im Studentenprotest gegen den Flughafenbau von Narita. Und es wurde immer vermittelt, dass es eine böse Atomenergie in Form der Atombombe und die gute Atomenergie in Form der sauberen Kernenergie gibt. Das ist stark in den Köpfen drin.
Ticket: Spielt da nicht auch die Mentalität der Japaner eine Rolle?
Dörrie: Ich glaube, das hat eher mit einer größeren Gewöhnung an Katastrophen zu tun. Japaner leben ständig mit Naturkatastrophen und es gibt dadurch eine Bereitschaft, Dinge zu akzeptieren, zu dulden.
Ticket: Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki gehören sicherlich auch dazu. Besteht da im öffentlichen Bewusstsein eine Brücke zu Fukushima?
Dörrie: Nein. Es gibt ein neues Pressegesetz. Wenn Sie als Journalist negativ über Japan berichten und das als Whistleblowing angesehen wird, drohen ihnen Strafen. Nur die alternativen Medien greifen das Thema auf, davon gibt es einige, nur nicht im großen Stil.
Ticket: "Grüße aus Fukushima" ist Ihr vierter Film, der in Japan spielt. Was fasziniert Sie an diesem Land?
Dörrie: Darauf habe ich keine einfache Antwort. Es ist diese Gleichzeitigkeit in Japan. Zum einen ist man dort so detailverliebt und ästhetisch. Zum anderen gibt es dann diese irrsinnige Trash-Kultur. Beton und Naturverwüstung gibt es genauso wie die Anbetung der Natur. Das finde ich sehr faszinierend.
Ticket: Im Film reist eine Deutsche nach Japan, die wie ein Alter Ego der jungen Doris Dörrie wirkt...
Dörrie: Ja, es gibt Überschneidungen. Als große Frau aus dem Westen werde ich in Japan immer noch als "Elefant im Porzellanladen" wahrgenommen, wie jeder Ausländer – weil ich selbst nach 25 Jahren nicht alles richtig machen kann. Das ist die traditionelle Rolle von uns Langnasen, wie wir genannt werden.
von tsc
am
Fr, 11. März 2016
Info
GRÜSSE AUS FUKUSHIMa
Regie: Doris Dörrie
Mit Rosalie Thomass, Kaori Momoi, Nami Kamata, Moshe Cohen u. a.
106 Minuten, frei ab 12 Jahren
Die Story
Nach der Atomkatastrophe von Fukushima reist die junge Deutsche Marie (Rosalie Thomass) nach Japan, um zu helfen. Dabei rennt sie auch vor ihrem eigenen Leben weg. Völlig überfordert, vertraut sie sich einer alten Geisha (Kaori Momoi) an...
Autor: bz