"Faltige Menschen sind alltäglich"
Schon als Kind wusste Lars Eidinger (38), dass er mal Schauspieler werden will. An der Ernst-Busch-Schauspielschule studierte er mit Nina Hoss, Devid Striesow und Fritzi Haberlandt, blieb lange dem Theater treu, bis er erste Schritte beim Film wagte. Das Beziehungsdrama "Alle anderen" machte den Berliner gleich international bekannt – derzeit steht er für eine russische Produktion als Zar Nikolaus II. vor der Kamera und kommt jetzt an der Seite von Juliette Binoche und Kristen Stewart in "Die Wolken von Sils Maria" auf die Leinwand. Markus Tschiedert sprach mit ihm.
Ticket: "Die Wolken von Sils Maria" spielt im Schauspielermilieu. Fanden Sie sich da selbst wieder?
Lars Eidinger: Der Film porträtiert diesen Beruf, und man kriegt einen Eindruck davon, wie ein Sc hauspieler eigentlich arbeitet und sich vorbereitet. Darin konnte ich mich wirklich wiederkennen. Gleichzeitig fand ich es auch abstoßend, wie sehr diese Frau um sich selbst kreist und gekränkt ist, wenn sie merkt, dass sie nicht die einzige ist. Gelungen finde ich, dass es dennoch ein liebevoller Blick auf den Menschen und auf den Beruf ist.
Ticket: Was der Film klar macht, ist dass das Altern für Schauspieler besonders schwer sein kann. Können Sie das schon jetzt nachvollziehen?
Eidinger: Ja, aber nicht beruflich, ich fürchte mich vorm Älterwerden und vorm Sterben wie jeder andere auch. Ich glaube, das ist es auch, was das Älterwerden so schrecklich macht. Der Tod rückt unaufhörlich näher, das kann einen schon fertig machen. Deshalb sehen sich Zuschauer nicht so gern alte Gesichter im Kino an.
Ticket: Das klingt sehr deprimierend...
Eidinger: Neulich sah ich eine Dokumentation, in der es hieß, dass 50 Prozent aller geernteten Kartoffeln weggeschmissen werden, weil der Konsument sie nicht kauft. Das lässt sich ganz gut mit Schauspielern vergleichen. Jeden, der eine Macke hat oder ein gewisses Alter, schaut man sich nicht mehr an. Das führt dazu, dass einem nur noch Leute gezeigt werden, die scheinbar alterslos sind. Ohne es vielleicht zu wissen, hat der Zuschauer aber einen großen Anteil daran.
Ticket: Das heutige Kinopublikum ist aber älter. Glauben Sie nicht, dass es bereitwilliger ist, Filme mit betagten Schauspielern zu sehen?
Eidinger: Das hängt vom Genre ab, würde ich behaupten. Der Arthaus-Film hat damit weniger Probleme, doch bei Blockbustern wird es schwieriger. Faltige Superhelden und Sexbomben will man eher nicht sehen. Dabei sind faltige Menschen alltäglich. Für Parfüms werben die makellosesten Schauspieler, aber 99,9 Prozent der Menschen erfüllen das Idealbild nicht. Trotzdem umgeben wir uns mit Schönheitsidealen, was uns hochgradig unglücklich macht. So funktioniert aber der Kapitalismus, er muss erst Bedürfnisse schaffen, und das geht, indem gesagt wird, wäre schön, wenn du so aussehen würdest, also tue mal was dafür.
Ticket: Ist ein Schauspieler nicht ständig mit seinem Aussehen konfrontiert?
Eidinger: Es muss ja einen Grund haben, warum sich so viele Schauspieler operieren lassen. Ich kenne deutsche Kollegen, bei denen irgendwann die Agentur sagt, sie sollten mal was machen lassen. Es ist ein extremer Druck, der da auf Schauspielern lastet.
Ticket: Sind Sie noch mit Ihrem Aussehen zufrieden?
Eidinger: Wenn einem die Haare ausfallen, ist das doch nicht schön.
Ticket: Sean Connery trägt seine Glatze mit Stolz...
Eidinger: Lustigerweise hängt in meinem Hotel in St. Petersburg, wo ich als Zar Nikolaus II. vor der Kamera stehe, ein Plakat von Connery. Und jedes Mal denke ich, der sieht mit Toupets einfach besser aus. Ich selbst habe hinten auch keine Haare mehr, aber da erfüllt es mich mit einer gewissen Genugtuung, zu wissen, ich habe diesen Makel, und trotzdem mögen mich die Leute.
Ticket: Juliette Binoche ist mit 50 jedoch immer noch schön. Wie war die Zusammenarbeit mit ihr?
Eidinger: Wahnsinn! Ich fand sie vorher schon toll, und jetzt bin ich ein richtiger Fan von ihr. Ihre Persönlichkeit, ihr Können, ihr Spiel und vor allem was sie einem als Partner gibt, begeistern mich vollkommen. Sie war weder zickig noch divenhaft – das ist ansonsten etwas, was mich an Schauspielern extrem stört.
von tsc
am
Mi, 17. Dezember 2014
DIE WOLKEN VON SILS MARIA
Regie: Olivier Assayas
Mit Juliette Binoche, Kristen Stewart, Lars Eidinger, Chloe Grace Moretz.
124 Minuten, frei ab sechs Jahren
Die Story
Maria Enders (Juliette Binoche) ist mit einem Theaterstück vor 20 Jahren der Durchbruch gelungen. Nun soll es wieder aufgeführt werden, und Maria soll wieder dabei sein. Diesmal allerdings in der Rolle einer alten verbitterten Frau, während eine aufstrebende Jungschauspielerin (Chloe Grace Moretz) den Hauptpart übernehmen soll. So wünscht es sich der Regisseur (Lars Eidinger), ohne zu ahnen, was er damit auslöst...
Autor: bz