Bühne
Frank Hilbrich inszeniert die Puccini-Oper "La Bohème" am Theater Freiburg
In Freiburg, wo er am Theater Wagners "Ring"-Tetralogie und zuletzt – als Uraufführung – Hans Thomallas Oper "Kaspar Hauser" auf die Bühne gebracht hat, schätzt man ihn. Jetzt inszeniert Regisseur Frank Hilbrich (49), der an der Berliner Universität der Künste eine Professur für szenischen Unterricht hat, mit "La Bohème" erstmals eine Oper Giacomo Puccinis.
Erfreulich, dass Hilbrich seine 2006 begonnene Regiearbeit in Freiburg ("Ich komme ganz gerne hierher") auch unterm neuen Intendanten Peter Carp fortsetzen kann. Nun mit "La Bohème", jener Oper in vier Bildern auf der Basis von Henri Murgers Roman "Scènes de la vie de bohème" und dem Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica. Dem 1896 in Turin mit Arturo Toscanini am Pult uraufgeführten Werk, das Puccinis Weltruhm begründete und zu einer der erfolgreichsten Opern avancierte. "Es ist bestes Musiktheater", sagt Hilbrich. Indes auch ein Werk, das als etwas kitschig gilt. Dem Hilbrich, der seit 2002 als Regisseur freiberuflich tätig ist, jetzt im Interview gleichwohl widerspricht: "Ich kann den Kitschvorwurf nicht teilen, so viel Kitsch ist nicht drin." Liebe finde nicht statt. Sexualität sei da, auch Begehren.
Gewiss, man habe das Stück verkitscht aufgeführt. Maxime des bewährten Freiburger Produktionsteams, zu dem auch wieder Volker Thiele (Bühne) und Gabriele Rupprecht (Kostüme) zählen: "Wir arbeiten gegen das Sentiment an." Paris, um 1830, Mansarde – wird man davon was erblicken? Hilbrich: "Nein!" Obwohl die Oper teils an Heiligabend spielt, ist sie kein Weihnachtsstück. "Ich möchte an Weihnachten nicht ‚La Bohème‘ sehen", gesteht der Regisseur, der in diesem Werk keine Sozialromantik ausmacht. Vielmehr Gefühlskälte und Rücksichtslosigkeit zwischen den Menschen. Ja, Brutalität. Seltsam etwa, warum der Hausbesitzer just an Weihnachten auftaucht, um die Miete zu kassieren...
So arm, wie es nach außen hin den Anschein hat, sind die in der Dachstube hausenden jungen Männer womöglich gar nicht. Die Männer haben keine Zukunftsängste. Arm dran, so Hilbrich, seien eher die Frauen – vor allem die Stickerin Mimì, die sterben muss. Eine Lehre aus dieser Oper, die den Kontrast zwischen lyrisch-sentimental und humorvoll-lebendig versinnlicht, dürfte daher sein: "Wir müssen den Tod akzeptieren", sagt Hilbrich. So ist es ausgerechnet der in Mimì vollends verknallte Rodolfo, der am spätesten merkt, dass sie stirbt. Weil Liebe blind macht? "Wenn Mimì stirbt, zerplatzt die Blase der Bohème", meint Hilbrich. Hätte die an Schwindsucht leidende Mimì heute Aids oder Krebs? Dass es einer solchen Aktualisierung kaum bedarf, zeigt Hilbrichs Verweis auf eigenes Erleben: auf eine an Tuberkulose erkrankte Berliner Studentin, die knapp dem Tod entrann.
Der Regisseur erkennt in "La Bohème", mehr noch als die Einheit von Text und Musik, "die Einheit von Empfindung und Musik". Und er betont: "Alles, was in dieser Oper gesagt wird, ist komponiert", wobei allerdings auch manches verschwiegen wird. Ein Ziel von Hilbrichs Inszenierung: "Man muss das Timing dieses Stücks zum Leben bringen" – als "Musiktheater mit einem Lebensgefühl". Oper mit den Hauptthemen Puccinis: der, wie Hilbrich dies nennt, "Engführung" von Eros und Thanatos, von Liebe und Tod. Ein weiteres Charakteristikum: "Das Aktion/Reaktion-Tempo ist unglaublich real." Die Szenen sind sehr genau geschrieben. Hilbrich unterscheidet: Die Sprache dieser Oper sei "furchtbar altmodisch", die Aussage hingegen "modern". Musikalisch neu an Puccinis "Bohème": "Der klassische Gesang wird an Grenzen geführt."
Man bekommt es mit einer Musik zu tun, die sich mit ungebrochener Popularität zur Filmmusik hin entwickelt. Eine Tonkunst, die auch Menschen erreicht, die (noch) keine Opernfans sind. Für Hilbrich ein zusätzliches Argument, weshalb gerade Einsteigern in diesem Fall der Opernbesuch sehr zu empfehlen ist: "Du wirst etwas über dich sehen, was dich erstaunen wird." Es geht stark um Selbstbild und Bild.
"La Bohème" erklingt nach der kritischen Ausgabe von Francesco Degrada. Es dirigiert Daniel Carter.
Termine: Freiburg, "La Bohème", Theater, Großes Haus, Premiere: Sa, 21. April, 19.30 Uhr; weitere Aufführungen: 29. April, 6., 13., 16. Mai, 23. Juni sowie 12. und 20. Juli; Info: BZ-Kartenservice Tel. 0761/4968888 und bz-ticket.de von Johannes Adam
Gewiss, man habe das Stück verkitscht aufgeführt. Maxime des bewährten Freiburger Produktionsteams, zu dem auch wieder Volker Thiele (Bühne) und Gabriele Rupprecht (Kostüme) zählen: "Wir arbeiten gegen das Sentiment an." Paris, um 1830, Mansarde – wird man davon was erblicken? Hilbrich: "Nein!" Obwohl die Oper teils an Heiligabend spielt, ist sie kein Weihnachtsstück. "Ich möchte an Weihnachten nicht ‚La Bohème‘ sehen", gesteht der Regisseur, der in diesem Werk keine Sozialromantik ausmacht. Vielmehr Gefühlskälte und Rücksichtslosigkeit zwischen den Menschen. Ja, Brutalität. Seltsam etwa, warum der Hausbesitzer just an Weihnachten auftaucht, um die Miete zu kassieren...
So arm, wie es nach außen hin den Anschein hat, sind die in der Dachstube hausenden jungen Männer womöglich gar nicht. Die Männer haben keine Zukunftsängste. Arm dran, so Hilbrich, seien eher die Frauen – vor allem die Stickerin Mimì, die sterben muss. Eine Lehre aus dieser Oper, die den Kontrast zwischen lyrisch-sentimental und humorvoll-lebendig versinnlicht, dürfte daher sein: "Wir müssen den Tod akzeptieren", sagt Hilbrich. So ist es ausgerechnet der in Mimì vollends verknallte Rodolfo, der am spätesten merkt, dass sie stirbt. Weil Liebe blind macht? "Wenn Mimì stirbt, zerplatzt die Blase der Bohème", meint Hilbrich. Hätte die an Schwindsucht leidende Mimì heute Aids oder Krebs? Dass es einer solchen Aktualisierung kaum bedarf, zeigt Hilbrichs Verweis auf eigenes Erleben: auf eine an Tuberkulose erkrankte Berliner Studentin, die knapp dem Tod entrann.
Der Regisseur erkennt in "La Bohème", mehr noch als die Einheit von Text und Musik, "die Einheit von Empfindung und Musik". Und er betont: "Alles, was in dieser Oper gesagt wird, ist komponiert", wobei allerdings auch manches verschwiegen wird. Ein Ziel von Hilbrichs Inszenierung: "Man muss das Timing dieses Stücks zum Leben bringen" – als "Musiktheater mit einem Lebensgefühl". Oper mit den Hauptthemen Puccinis: der, wie Hilbrich dies nennt, "Engführung" von Eros und Thanatos, von Liebe und Tod. Ein weiteres Charakteristikum: "Das Aktion/Reaktion-Tempo ist unglaublich real." Die Szenen sind sehr genau geschrieben. Hilbrich unterscheidet: Die Sprache dieser Oper sei "furchtbar altmodisch", die Aussage hingegen "modern". Musikalisch neu an Puccinis "Bohème": "Der klassische Gesang wird an Grenzen geführt."
Man bekommt es mit einer Musik zu tun, die sich mit ungebrochener Popularität zur Filmmusik hin entwickelt. Eine Tonkunst, die auch Menschen erreicht, die (noch) keine Opernfans sind. Für Hilbrich ein zusätzliches Argument, weshalb gerade Einsteigern in diesem Fall der Opernbesuch sehr zu empfehlen ist: "Du wirst etwas über dich sehen, was dich erstaunen wird." Es geht stark um Selbstbild und Bild.
"La Bohème" erklingt nach der kritischen Ausgabe von Francesco Degrada. Es dirigiert Daniel Carter.
Termine: Freiburg, "La Bohème", Theater, Großes Haus, Premiere: Sa, 21. April, 19.30 Uhr; weitere Aufführungen: 29. April, 6., 13., 16. Mai, 23. Juni sowie 12. und 20. Juli; Info: BZ-Kartenservice Tel. 0761/4968888 und bz-ticket.de von Johannes Adam
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Fr, 20. April 2018