Wolfach
Glasblasen in der Dorotheenhütte
Wer errät, was in dieses uralte Gefäß reinkam?", fragt Ralf Müller die Kinder. Finger schnellen in die Höhe, Stimmen überschlagen sich vor Aufregung, die Kinder rufen wild durcheinander: "Parfüm?" – "Nee". "Wasser?", "Gewürze?"– "Nein." "Likör?" – "Auch nicht." Ratloses Schulterzucken, gespanntes Schweigen – der Geschäftsführer der Dorotheenhütte in Wolfach versteht es, die Kinder beim Museumsrundgang bei der Stange zu halten. Und das, obwohl die eigentliche Attraktion erst am Schluss des Rundgangs steht – aber dazu später.
Im Moment sind acht Augenpaare auf das kleine, zierliche Gefäß hinter der Vitrine gerichtet. Unscheinbar und doch irgendwie kostbar sieht dieses bauchige Ding aus, halb Flasche, halb Vase. Kostbar war es vor allem früher für die Männer als Liebesbeweis, erzählt Müller: "Denn die Mädels haben darin früher die Tränen gesammelt, die sie aus Sehnsucht nach dem Liebsten vergossen haben." Die Kinder sind beeindruckt: So lange und viel heulen? Und das dann verschenken? "Tja, ein selbstgemachtes Geschenk", sagt einer trocken.
Weiter geht die Zeitreise, die von den Anfängen der Schwarzwälder Glasbläserkunst bis in die Gegenwart reicht, vom grünen Schwarzwaldglas – "wegen des rostigen Sandes", erklärt Müller –, bis zu den heutigen Funktionen. Denn fast überall wird Glas gebraucht, erfahren die Kinder, sei es für Touchscreens der Handys, Glasfaserleitungen fürs Internet oder "Boah, guck mal da, Panzerglas". Beim vierfach verklebten Spezialglas sieht man zwar vorne das Einschussloch, aber: "Hier wurde von der Seite aus mit einem ganz dicken Maschinengewehr mit einer Geschwindigkeit von 3000 Stundenkilometern reingeschossen. Es ging nicht durch – auf der Rückseite merkt man kaum, dass da eine Beule ist." Und kaum zu glauben, dass auch ein solches Glas aus geschmolzenem Sand und ein paar Zusätzen entsteht. Apropos Zusätze: Die sind streng geheim, erzählt Müller. Die Gemenge-Rezepte werden in den Glashütten so streng gehütet wie Omas Backmischung: "Jeder hat seine eigene Rezeptur."
Nach dem Panzerglas geht es nun wieder viel zerbrechlicher zu. In den Räumen der Schleiferei und Gravurstube schimmern Gläser und Karaffen aus buntem, kostbaren Bleikristallglas, entworfen in Zusammenarbeit mit einem Designer. Hier wird das Außenglas abgeschliffen und ein kunstvolles Muster eingraviert, ehe die zerbrechliche Ware nach Europa, in die USA oder in den mittleren Osten wandert. Aber auch in die Villa Reitzenstein liefert die Dorotheenhütte ihre handgeblasenen Gläser mit baden-württembergischen Wappen. "Selbst das niederländische Königspaar Maxima und Willem-Alexander hat als Gastgeschenk zwei unserer Gläser bekommen", sagt Müller stolz.
Nach dem Rundgang durch die Werkstätten und die fast 2000-jährige Geschichte der alten Glaskunst geht’s an die Praxis: Die Kinder dürfen nun selbst Glas blasen, eine Vase, unter Anleitung von echten Glasmachern und nach alter Tradition. Alle stellen sich an, natürlich vor der Bühne. Denn dort, wo der Schmelzofen steht, geht es heiß zu. In die Öffnung mit dem gelbglühenden Schlund führen die Glasmacher an langen Stahlstäben einen Glasklumpen ein, hängen ihn in den Ofen wie Pizzabäcker ihre Pizzen legen – die aber, wären es tatsächlich Teigstücke, bei etwa 1400 Grad Hitze in Sekundenbruchteilen verkohlt wären. Denn im Innern, im sogenannten Hafen, wummert das glühende Herz des Ofens und sorgt davor für Hitze wie in der Sauna.
Immer nur ein Kind darf mit Mundstück ausgestattet aufs Glasbläsertreppchen in sicherem Abstand neben dem Ofen stehen. Davor jonglieren und pusten die Glasmacher unter den gespannten Blicken mit den honiggelb glühenden Glasklumpen, halten ihn ins Feuer, wirbeln und pusten, bearbeiten und klopfen ihn unter stetem Drehen der Glasmacherpfeife. Josi, so nennen alle den Portugiesen, der vor dem Schmelzofen wirbelt, tupft je nach Farbwunsch bunte Glasstückchen auf den glühenden Klumpen. Der wird wieder in den Ofen gehängt, rausgezogen, gewirbelt. Dann fährt Josi mit einer Art gebogenen Schaufel über den Glasklumpen, macht so das gewünschte Muster, mal gepunktet, mal wellenförmig. Anschließend setzt er nochmal an, formt mit einer Schaufel den späteren Vasenkörper, walzt und dreht den Glasklumpen wie Teig auf einer Metallarbeitsfläche und wirbelt ihn dann wieder durch die Luft.
Erst nach dieser Vorarbeit ist das Kind auf dem Treppchen an der Reihe, das ganz aufgeregt dasteht, das Mundstück gezückt: ansetzen, pusten, mit dicken Backen, der Glasklumpen wabbelt hin und her, bekommt einen Bauch, fast fertig. Josi wirbelt und dreht die Fastvase in der Luft, dann darf das Kind nochmal pusten, "gaaaanz tief", und langsam wird aus dem bauchigen Etwas ein kleiner bunter Ballon. Josi dreht und formt per Kelle den Vasenboden, setzt die Feile an, sägt und befreit schließlich die Vase von der Glasmacherpfeife – fertig.
Das Kind strahlt mindestens ebenso stolz, wie das Glas der Vase glänzt: "Hab’ ich selbst ganz alleine gemacht." Na ja, fast – Danke, Josi! von Anita Fertl
Im Moment sind acht Augenpaare auf das kleine, zierliche Gefäß hinter der Vitrine gerichtet. Unscheinbar und doch irgendwie kostbar sieht dieses bauchige Ding aus, halb Flasche, halb Vase. Kostbar war es vor allem früher für die Männer als Liebesbeweis, erzählt Müller: "Denn die Mädels haben darin früher die Tränen gesammelt, die sie aus Sehnsucht nach dem Liebsten vergossen haben." Die Kinder sind beeindruckt: So lange und viel heulen? Und das dann verschenken? "Tja, ein selbstgemachtes Geschenk", sagt einer trocken.
Weiter geht die Zeitreise, die von den Anfängen der Schwarzwälder Glasbläserkunst bis in die Gegenwart reicht, vom grünen Schwarzwaldglas – "wegen des rostigen Sandes", erklärt Müller –, bis zu den heutigen Funktionen. Denn fast überall wird Glas gebraucht, erfahren die Kinder, sei es für Touchscreens der Handys, Glasfaserleitungen fürs Internet oder "Boah, guck mal da, Panzerglas". Beim vierfach verklebten Spezialglas sieht man zwar vorne das Einschussloch, aber: "Hier wurde von der Seite aus mit einem ganz dicken Maschinengewehr mit einer Geschwindigkeit von 3000 Stundenkilometern reingeschossen. Es ging nicht durch – auf der Rückseite merkt man kaum, dass da eine Beule ist." Und kaum zu glauben, dass auch ein solches Glas aus geschmolzenem Sand und ein paar Zusätzen entsteht. Apropos Zusätze: Die sind streng geheim, erzählt Müller. Die Gemenge-Rezepte werden in den Glashütten so streng gehütet wie Omas Backmischung: "Jeder hat seine eigene Rezeptur."
Nach dem Panzerglas geht es nun wieder viel zerbrechlicher zu. In den Räumen der Schleiferei und Gravurstube schimmern Gläser und Karaffen aus buntem, kostbaren Bleikristallglas, entworfen in Zusammenarbeit mit einem Designer. Hier wird das Außenglas abgeschliffen und ein kunstvolles Muster eingraviert, ehe die zerbrechliche Ware nach Europa, in die USA oder in den mittleren Osten wandert. Aber auch in die Villa Reitzenstein liefert die Dorotheenhütte ihre handgeblasenen Gläser mit baden-württembergischen Wappen. "Selbst das niederländische Königspaar Maxima und Willem-Alexander hat als Gastgeschenk zwei unserer Gläser bekommen", sagt Müller stolz.
Nach dem Rundgang durch die Werkstätten und die fast 2000-jährige Geschichte der alten Glaskunst geht’s an die Praxis: Die Kinder dürfen nun selbst Glas blasen, eine Vase, unter Anleitung von echten Glasmachern und nach alter Tradition. Alle stellen sich an, natürlich vor der Bühne. Denn dort, wo der Schmelzofen steht, geht es heiß zu. In die Öffnung mit dem gelbglühenden Schlund führen die Glasmacher an langen Stahlstäben einen Glasklumpen ein, hängen ihn in den Ofen wie Pizzabäcker ihre Pizzen legen – die aber, wären es tatsächlich Teigstücke, bei etwa 1400 Grad Hitze in Sekundenbruchteilen verkohlt wären. Denn im Innern, im sogenannten Hafen, wummert das glühende Herz des Ofens und sorgt davor für Hitze wie in der Sauna.
Immer nur ein Kind darf mit Mundstück ausgestattet aufs Glasbläsertreppchen in sicherem Abstand neben dem Ofen stehen. Davor jonglieren und pusten die Glasmacher unter den gespannten Blicken mit den honiggelb glühenden Glasklumpen, halten ihn ins Feuer, wirbeln und pusten, bearbeiten und klopfen ihn unter stetem Drehen der Glasmacherpfeife. Josi, so nennen alle den Portugiesen, der vor dem Schmelzofen wirbelt, tupft je nach Farbwunsch bunte Glasstückchen auf den glühenden Klumpen. Der wird wieder in den Ofen gehängt, rausgezogen, gewirbelt. Dann fährt Josi mit einer Art gebogenen Schaufel über den Glasklumpen, macht so das gewünschte Muster, mal gepunktet, mal wellenförmig. Anschließend setzt er nochmal an, formt mit einer Schaufel den späteren Vasenkörper, walzt und dreht den Glasklumpen wie Teig auf einer Metallarbeitsfläche und wirbelt ihn dann wieder durch die Luft.
Erst nach dieser Vorarbeit ist das Kind auf dem Treppchen an der Reihe, das ganz aufgeregt dasteht, das Mundstück gezückt: ansetzen, pusten, mit dicken Backen, der Glasklumpen wabbelt hin und her, bekommt einen Bauch, fast fertig. Josi wirbelt und dreht die Fastvase in der Luft, dann darf das Kind nochmal pusten, "gaaaanz tief", und langsam wird aus dem bauchigen Etwas ein kleiner bunter Ballon. Josi dreht und formt per Kelle den Vasenboden, setzt die Feile an, sägt und befreit schließlich die Vase von der Glasmacherpfeife – fertig.
Das Kind strahlt mindestens ebenso stolz, wie das Glas der Vase glänzt: "Hab’ ich selbst ganz alleine gemacht." Na ja, fast – Danke, Josi! von Anita Fertl
am
Fr, 29. Mai 2015