"Ich habe es irgendwie geahnt"

TICKET-INTERVIEW: Margarethe von Trotta über ihre ältere Schwester, von der sie nichts wusste.

Sie hat als eine der wenigen Frauen in den Siebzigern die Ära des Neuen deutschen Films geprägt, zunächst als Co-Autorin ihres damaligen Ehemanns Volker Schlöndorff, dann als eigenständige Regisseurin. Seitdem hat Margarethe von Trotta (73) Filmklassiker wie "Die bleierne Zeit", "Rosa Luxemburg","Rosenstraße" und "Hannah Arendt" geschaffen. Mit ihrem neuen Film "Die abhandene Welt" verarbeitete die gebürtige Berlinerin eine persönliche Geschichte. Wie die Protagonistin im Film erfuhr auch von Trotta erst nach dem Tod der Mutter von der Existenz ihrer älteren Schwester, die einst von Fremden adoptiert wurde. Markus Tschiedert traf die Regisseurin zum Interview.


Ticket:
Dürfen wir fragen, wie es Ihrer Schwester heute geht?
Margarethe von Trotta: Sie ist 15 Jahre älter als ich und damit schon eine recht betagte Frau, die heute in Wiesbaden lebt. Wir lernten uns ein halbes Jahr nach dem Tod meiner Mutter kennen. Erst mal stand ich unter Schock, weil mir meine Mutter nie etwas davon erzählt hatte. Dass sie so etwas Wichtiges verschwiegen hatte, löste in mir das Gefühl aus, sie hätte kein Vertrauen zu mir gehabt.
Ticket: Fühlen Sie noch immer so?
Von Trotta: Mir ist irgendwann klar geworden, dass sie mich vielleicht auch schützen wollte. Denn es muss so ein Schmerz für sie gewesen sein, als sie das Kind zur Adoption freigegeben hatte. Sie konnte sich danach nicht mehr erkundigen, wie es dem Kind geht, aber sicher hat sie oft daran gedacht. Wenn sie mich ansah, dachte sie bestimmt oft, wie es jetzt der anderen Tochter geht. Ich habe schon als Kind gespürt, dass es da noch eine andere Person geben muss.
Ticket: Wieso?
Von Trotta: Freud hat mal einen Essay über die telepathische Verbindung zwischen Kleinkind und Mutter geschrieben: Eine Frau habe ihm von einem Traum erzählt, in dem eine Münze vorkam. Sie hätten die ganze Sitzung über die Bedeutung dieser Münze geredet, und als die Frau nach Hause ging, brachte ihr der zweijährige Sohn eine Münze an. Ich glaube, als ich ein Baby war, musste meine Mutter oft an das andere Kind denken, und ich habe das mitbekommen. Irgendwann ist das dann wieder abgesunken. Aber dass da etwas in mir schlummerte, zeigt auch meine Beschäftigung mit dem Thema in Filmen wie "Schwestern oder die Balance des Glücks".
Ticket: Ob Ihre Mutter einfach nur die Gelegenheit verpasst hatte, es Ihnen zu sagen?
Von Trotta: Das kann auch sein. Letztlich weiß ich es nicht, und als meine Mutter schließlich Alzheimer bekam, konnte sie es mir sowieso nicht mehr sagen. Aber in diesem Zustand fragte sie manchmal: "Wie geht es deiner Schwester?" Ich dachte, sie würde ihre eigene meinen. Erst im Nachhinein dachte ich, sie meinte wirklich meine Schwester.
Ticket: Wie war Ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter?
Von Trotta: Ich habe sie so geliebt, und sie war auch so liebevoll zu mir! Ich hatte immer das Gefühl, ich bekomme Liebe für zwei. Auch das ist ja ein Zeichen, dass ich es irgendwie geahnt habe! Vielleicht dachte sie, wenn sie es mir sagt, würde ich ihr vorwerfen, dass sie ein Kind weggegeben hatte.
Ticket: Fiel es Ihnen schwer, sich für "Die abhandene Welt" nochmal damit auseinanderzusetzen?
Von Trotta: Na ja, ich habe lange gewartet. Meine Mutter starb 1979, ich habe inzwischen also Abstand. Gleichzeitig ist es nicht ganz eins zu eins die Geschichte. Es steckt viel von mir drin, aber einiges habe ich für den Film auch erfunden.
Ticket: Es gibt eine Szene, in der sich Katja Riemann und Barbara Sukowa gegenübersitzen, und plötzlich kommen ihr die Tränen, weil sie in der Schwester die Mutter wiedererkennt. Wie war das bei Ihnen?
Von Trotta: Das war wie eine Wiederauferstehung meiner Mutter. Sie sah ihr viel ähnlicher als ich.
Ticket: Barbara Sukowa ist Ihre bevorzugte Schauspielern, aber auch mit Katja Riemann haben Sie schon gearbeitet...
Von Trotta: Die beiden brauchte ich auch, um diesen Film machen zu können. Mit Katja drehte ich zuvor zwei und mit Barbara sechs Filme. Die beiden gehören irgendwie zu mir, und denen kann ich auch vertrauen. Ich hatte ihnen auch meine Geschichte erzählt, die wussten natürlich Bescheid.

















von tsc
am Mi, 06. Mai 2015

DIE ABHANDENE WELT

Regie: Margarethe von Trotta
Mit Katja Riemann, Barbara Sukowa, Karin Dor, Matthias Habich, Tom Beck und anderen
101 Min., ohne Altersbeschränkung
Die Story
Ein Foto der Opernsängerin Catarina Fabiani (Barbara Sukowa) führt die Jazzsängerin Sophie (Katja Riemann) nach New York, weil die Unbekannte ihrer kürzlich verstorbenen Mutter zum Verwechseln ähnelt. Es kommt zu einem Treffen mit der Doppelgängerin, doch Catarina reagiert auf Sophies interessierte Fragen mit deutlicher Abwehr. Erst allmählich entlüftet sich dann ein Familiengeheimnis...  

Autor: bz

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