"Ich hatte furchtbare Angst"

TICKET-INTERVIEW: Der Schauspieler Bruno Ganz über seine Erfahrungen mit der DDR.

Ob verliebter Engel ("Der Himmel über Berlin"), grimmiger Großvater ("Heidi") oder Adolf Hitler ("Der Untergang") – Bruno Ganz (76) nimmt man jede Rolle ab. So auch die eines überzeugten DDR-Stalinisten kurz vor der Wende. In "In Zeiten des abnehmenden Lichts" sorgt er als 90-jähriges Geburtstagskind für viel Wirbel unter Parteifreunden und Familienmitgliedern, die zum Geburtstag gekommen sind. Markus Tschiedert sprach mit Bruno Ganz.

Ticket: In "In Zeiten des abnehmenden Lichts" spielen Sie einen Alt-Stalinisten in der einstigen DDR. Hatten Sie jemals Berührungspunkte mit solchen Leuten?
Ganz: Nur theoretisch bin ich mit dem Thema in Kontakt gekommen, über Literatur und in Zusammenhang mit Theater, vor allem durch die Schaubühne in Berlin, wo wir alle Linke unterschiedlichster Schattierungen waren. Ich wusste also eine ganze Menge über die DDR, aber ich bin nie einem richtigen Stalinisten begegnet, habe aber viel über sie gelesen, sodass sie mir nicht fremd waren.
Ticket: Waren Sie jemals Trotzkist, Maoist, Anarchist?
Ganz: Na ja, ich war immer, wie die in der DDR gesagt haben würden, ein bürgerlicher Künstler mit linken Tendenzen. Ich mochte damals die Moskau-Fraktion nicht so gern, die Maoisten waren mehr im Trend, aber ich glaube, die Leute in der DDR haben mit Recht über uns Studenten, die hier den Sozialismus wollten, gelacht. Das war ein bisschen absurd. Aber es war die Art, wie wir es damals machten.
Ticket: Sind Sie, wenn Sie an der Schaubühne spielten, öfter mal nach Ost-Berlin rüber?
Ganz: Ich kam sehr leicht nach Ost-Berlin schon zu einer Zeit, als die Westberliner das noch nicht konnten. Manchmal besuchte ich auch Dresden und Meißen. Später, als es leichter wurde, bin ich auch Wandern gegangen im Elbsandsteingebirge. Mein politisches Interesse an der DDR ist jedoch schwer über die Literatur gegangen und das, was ich in Zeitungen gelesen habe. Das hat mich immer stark interessiert.
Ticket: Wie haben Sie die DDR bei Ihren Besuchen empfunden?
Ganz: Als kleiner Schweizer hatte ich am Anfang furchtbare Angst, wenn man am Bahnhof Friedrichstraße rüber wollte. Da musste man in den Keller und dann durch die Kontrolle, wo es immer hieß: "Machen Sie jetzt Ihr Ohr frei." Ich kam auf ein Gebiet, wo ich dachte, wenn mir jetzt etwas passiert, beschützt mich hier keiner. Hier gibt es keinen Rechtsstaat und die können mit mir machen, was sie wollen. Also das war das Gefühl, das ich hatte.
Ticket: Änderte sich dieses Gefühl dann irgendwann?
Ganz: Ich kam ja aus einem Land, in dem eine ganze andere Art von Behütung herrschte. Später, als ich anfing, mich mit der DDR mehr zu beschäftigen, ist das Unbehagen abgelöst worden durch ein Interesse an der politischen Situation. Natürlich habe ich das mit dem Herzen nie geteilt. Ich fand immer die Seite von Gängelei und Unterdrückung so unangenehm, dass ich damit nichts zu tun haben wollte. Da hätte ich nicht leben wollen.
Ticket: Wie war es, die Menschen in der DDR kennenzulernen?
Ganz: An allen, die ich kennenlernte, merkte ich, dass viele zunächst gar nicht so ein Problem damit hatten. Die Freundschaften waren stärker, und die Leute konnten sich untereinander verlassen. Wir im Westen hingegen lebten oder leben in einem sehr kühlen System. Kapitalismus ist nichts Warmes. Das haben die Menschen in der DDR auch nicht gewusst, aber jetzt haben sie es gelernt.
Ticket: Im Film feiern Sie in Ihrer Rolle als Wilhelm Powileit Ihren 90. Geburtstag. Davon sind Sie noch weit entfernt, aber haben Sie trotzdem das Ziel, im hohen Alter noch schauspielern zu können?
Ganz: Man macht so lange weiter, wie es einem Körper und Geist erlauben. Aber Ziel ist zu viel gesagt. Noch geht es, und vielleicht geht es in einem Jahr auch noch. Irgendetwas sagt mir: "Mach’ doch, ist doch eine tolle Art, Zeit zu verbringen." Es läuft daraus hinaus, ich mach’, so lange ich kann.
Ticket: Aber die Schauspielerei ist schon so etwas wie ein Lebenselixier für Sie?
Ganz: Ich glaube schon. Ich habe einfach das Bedürfnis, und es beschäftigt mich auf eine tolle Art und Weise.
von tsc
am Fr, 02. Juni 2017

Info

In Zeiten des abnehmenden Lichts

Regie: Matti Geschonneck
Mit Bruno Ganz, Sylvester Groth, Hildegard Schmahl, Alexander Fehling, Angela Winkler, Inka Freidrich und anderen. 101 Minuten, ab 0.

Die Story
Ende 1989 feiert Wilhelm Powileit (Bruno Ganz) in Ostberlin seinen 90. Geburtstag. Der Alt-Stalinist und seine Gäste ahnen nicht, dass die letzten Tage der DDR angebrochen sind. Enkel Sascha hat sich bereits in den Westen abgesetzt, aber das darf der Alte nicht erfahren...

 

Autor: bz

Badens beste Erlebnisse