Theater

Interview mit Ene-Liis Semper über Theater No99 und den Auftritt in Freiburg

TICKET-INTERVIEW: Ene-Liis Semper über Theater No99 und den Auftritt in Freiburg.

16 hochkarätige internationale Produktionen machen vom 8. bis 16. Juni Station beim Freiburg Festival. Eröffnet wird das Tanz- und Theaterfestival von der Produktion "Filth" des estnischen Theaters No99. Heidi Ossenberg befragte die Mitgründerin Ene-Liis Semper schriftlich und auf Englisch zu dem 2015 uraufgeführten Werk.

Ticket: Das Theater No99 ist in Tallinn beheimatet, zeigt seine Produktionen aber häufig auf Festivals jenseits von Estland. Wie wichtig ist das Reisen für das Theater?
Semper: Man könnte unser Theater mit einem Frosch vergleichen. Wie diese Tiere haben wir zwei Bereiche, über die wir uns definieren. Einer davon ist Estland, wo wir unser Theater haben, unser Publikum, Wurzeln und Herz. Wir spielen dort wöchentlich. Der lokale Bezug ist in vielen unserer Produktionen klar ersichtlich. Auf der anderen Seite haben internationale ästhetische, politische und performative Inhalte bei uns längst eine Rolle gespielt, bevor wir zu reisen begannen. Wir definieren uns als europäisches Theater in Estland – und andersherum als estnisches Theater in Europa. Reisen an sich ist nervig, aber an unterschiedlichen Orten zu sein und uns immer wieder neu zu definieren – das ist herausfordernd und inspirierend.
Ticket: Das Motto des Freiburg Festivals lautet "How close is far?" Inwieweit passt dieses Motto zu Ihrer Arbeit?
Semper: Ehrlich gesagt, das wichtigste in diesem Motto ist das Fragezeichen. Für uns ist Theater kein Werkzeug um Antworten zu geben, sondern um Fragen zu stellen. Wir glauben nun wirklich nicht, dass wir klüger sind als das Publikum – daher wäre es absurd, überheblich und sogar gewalttätig, wenn ein Theaterstück Leute in einen dunklen Raum einladen würde und anfinge, ihnen Antworten dazu geben würde, wie sie ihr Leben leben sollen. Nein. Wir stellen Fragen. "How close is far?" – ich habe keine Ahnung. Aber das Fragezeichen sorgt auf jeden Fall für Interesse.
Ticket: Beim Festival zeigen Sie "Filth", eine Mischung aus Schauspiel und Tanz. Was bekommt das Publikum zu sehen?
Semper: Neun Darsteller, körperlich und mental angespannt, präzise und poetisch, die eine theatrale Symphonie über Menschen zeigen.
Ticket: Gibt es in den unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Reaktionen auf Ihr Stück?
Semper: Sicher. Aber ich möchte nicht generalisieren – es gibt kein "estnisches Publikum" oder "deutsches Publikum". Auf "Filth" reagieren auch die Menschen in Estland unterschiedlich. Die Hauptfrage, wenn wir reisen lautet nicht: "Was werden sie denken?", sondern "werden sie denken?" – ist die Produktion kommunikativ, und auf welcher Ebene? Werden Menschen, die ohne Vorurteile ins Theater gehen, eine Verbindung mit der Produktion spüren? Wenn ja, dann gab es Kommunikation. Und wenn wir Verbindung sagen, meinen wir nicht "like" (wie in der kindischen Verbindung bei Facebook), wir meinen eine Verbindung die meinen kann: mögen, nicht mögen, hassen, lieben, nachdenkenswert sein.

Ene-Liis Semper (Jahrgang 1969) studierte Filmarchitektur und gründete 2005 gemeinsam mit Tiit Ojasoo das Theater No99.

Termin: Freiburg, "Filth", Theater, Großes Haus, Fr, 8. Juni, 20 Uhr
von hoss
am Fr, 01. Juni 2018

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