Jeder Song: eine Spurensuche

BZ-PORTRÄT: Die britische Sängerin Rose Findlay überwindet Stile – und will keine Grenzgängerin sein.

In einem Interview hat sie einmal gesagt, entweder sie wäre als unmotivierte Servicekraft im Baumarkt geendet oder sie hätte die Bühnenkarriere versucht. Heute darf sich die Musikszene freuen, dass die 26-jährige Britin Natalie Rose Findlay den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt hat – denn vieles spricht dafür, dass sich bald schon nicht nur Kirchzarten bei "Rock am Bach", sondern ein auserlesenes Publikum weltweit von den außergewöhnlichen Qualitäten dieser jungen Künstlerin wird überzeugen kann.

Dabei sah es lange danach aus, als würde es zur Karriere von "Findlay", wie sich die Frau aus Stockport kurz nennt, gar nicht kommen. Als rastlos Getriebene zog sie schon in Teenagertagen durch die Lande, trug die Musik immer im Herzen und auf die Gehwege der Nation, doch fand sie nicht nur geographisch keine Heimat. Alle paar Tage bei einem neuen Freund zu Hause blieben innerer Aufruhr, politische Auflehnung und expressive Klänge ihre Prinzipien: Die Straßenmusik erhielt sie am Leben.

Aufgenommen wurde von dem Material, das der zarte Teenager aus den Augenblicken schöpfte, lange Zeit nichts, und so konnte nur das Publikum auf der Straße ihre Botschaft hören: "Ich kann nichts anderes tun als Musik." Diese Vergangenheit ist für Findlay keine Randnotiz, sondern Quell und Ursprung einer Musik, die sich als existenzielles Momentum einer jungen Frau versteht, die kaum je zu sich fand und in diesem Streben doch nie aufgab. Jeder Song eine Spurensuche.

Im November 2013 bringt Findlay unter Aufbringung aller finanzieller und mentaler Ressourcen ihre erste EP auf den Markt und geht damit volles Risiko ein. Zum ersten Mal in ihrem Leben stellt sie sich der Kritik und mit ihrer eigenwilligen künstlerischen Auffassung damit gleichsam der musikalischen Massenindustrie, die den hochexperimentellen Sound von "Greasy Love" mit Leichtigkeit im Nirvana hätte versinken lassen können – und doch das zutiefst Besondere in dieser Stimme erkennt: ihre raue, dynamische Stimme, die sie gut und gerne von Joe Cocker geerbt haben könnte; ihre zutiefst philosophischen und gesellschaftskritischen Texte, die mit einer fast schon trügerisch-magischen Leichtigkeit daherkommen; aber auch und gerade ihre furchtlose Präsenz als Nomadin, die niemandem gefallen muss.

Die Veröffentlichung ihrer ersten kleinen Kompilation ist mittlerweile vier Jahre her, und doch trägt "Greasy Love" als Titelsong dieser EP die Essenzen, aus denen Findlay ihr komplexes musikalisches Konzentrat entstehen lässt, schon präzise in sich. Jene psychedelischen Sequenzen, die an Björk ebenso erinnern wie an den Synth-Pop, mit dem Lorde den Globus erobert; eine unbändig-soulige Kraft, wie man sie sonst bestenfalls von Adele oder Amy Winehouse so souverän und zielsicher im jungen Alter zu hören bekam; aber auch Sequenzen aus Punk und Funk, wie sie die frühe Avril Lavigne ebenso prägten wie Bruno Mars sind als Wasserzeichen einer tiefen eigenen musikalischen Überzeugung in die Harmonien ihrer Songs mit eingelassen.

Das Resultat ist eine Trotzigkeit im besten Sinne, denn zwischen Motown, Hip Hop und Rock-Versatzstücken würde sich Findlay niemals als Grenzgängerin, sondern vielmehr als Künstlerin verstehen, die gerade diese sehr unterschiedlichen Stile in ihrer Musik vereint, sofern sie auf beeindruckend-spannende Weise Reibungsenergie erzeugen können.

Ohne Zweifel hat Findlay mit diesem Prinzip die Herzen ihrer Zuhörer keineswegs im Sturm erobert und warten müssen, bis sich BMW dazu entschloss, ihren Song "Off & On" als Untermalung eines Werbespots im Rahmen der Olympischen Winterspiele 2014 einzusetzen. Doch Support-Auftritte für Künstler wie Jake Bugg, Brandon Flowers und ihre Platte "Forgotten Pleasures" folgten und ließen sie den progressiven Kampf führen, als den auch Kirchzarten ihre Musik verstehen wird. Es steht Großes ins Haus.

Rock am Bach: 1./2. Sep.r in Kirchzarten, Dietenbacherstraße. Konzert Findlay: Sa, 2. Sep. ab 23 Uhr. http://www.rockambach.info
von Markus Mertens
am Do, 31. August 2017

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