KRIMINALROMANE

Moskauer Propaganda

Yassin Musharbash: Russische

Botschaften.
Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 398 Seiten, 16 Euro.

Am Ende des Buchs gibt es Danksagungen. An erster Stelle steht John le Carré, der verstorbene Altmeister des Geheimdienstromans. Yasin Musharbash, Investigativjournalist (heute bei der Zeit) und nebenbei Autor, hat mal als Rechercheur für le Carré gearbeitet. Ein weiser Mentor sei er gewesen, schreibt Musharbash, er widmet le Carré seinen dritten Thriller. Man erkennt auch den literarischen Einfluss: Es geht um einen Doppelagenten, wie in le Carrés Klassiker "Dame, König, As, Spion", die Hauptperson Merle Schwalb könnte einem späteren le Carré wie "Marionetten" entsprungen sein. Sie ist auch Investigativjournalistin und wird in einen Todesfall verwickelt. Wurde der Mitarbeiter der russischen Botschaft in Berlin ermordet? Wer steht auf der verschlüsselten Liste, die er einem Kollegen Schwalbs gegeben hat? Es sollen Deutsche sein, die die Russen gekauft haben, damit sie in der Öffentlichkeit für Putins Regime eintreten. Schwalb und ein Kollegenteam machen sich an die Spurensuche. Es steckt mehr dahinter als der Verrat eines Geheimdienstlers, den sie anfangs vermuten. Unabhängige russische Rechercheure und der Verfassungsschutz kommen ins Spiel. Wem kann man vertrauen, auch in den eigenen Reihen? Ganz in der Manier von le Carré sind die Rollen nicht klar verteilt. Und wer sind die wirklichen Akteure auf der russischen Seite? Le Carrés Spionageromane waren Ausgeburten des Kalten Krieges, Musharbashs Thriller ist ein Reflex der Infoangriffe, die Russland heute unternimmt. Bretonische Vermögen

Hannelore Cayre: Reichtum verpflichtet. Roman. Aus dem Französischen von Iris Konopik. Ariadne/Argument Verlag, Hamburg 2021. 254 Seiten, 20 Euro.

Blanche de Rignys Beinprothesen – die Folge eines schweren Unfalls – finden nicht wenige Männer ziemlich sexy. Aber das nur nebenbei. "Reichtum verpflichtet" ist nach "Die Alte" eine neue bitterböse Geschichte der französischen Strafverteidigerin und Autorin Hannelore Cayre. Es geht um die kapitalistischen Verhältnisse. Denen hat Blanche de Rigny als Dokumentaristin bei der Justizbehörde nichts entgegenzusetzen. Bis sie bei einer Recherche auf schwerreiche bretonische Vorfahren in ihrer Familie wie den ehemaligen Salonkommunisten Auguste de Rigny stößt: "Die de Rignys verfolgten mit ihrer Geldvermehrung keinerlei Ziel, die Akkumulation von Reichtum war für sie einfach nur ein Prozess." Das kann so nicht weiter gehen: Mit dem Wissen aus ihrer juristischen Tätigkeit fädelt Blanche einen ertragreichen Informationshandel ein. Den Gewinn nutzt sie, um die Nachkommen der de Rignys, die bis heute fleißig im globalen Finanzkapitalismus mitmischen, systematisch auszuschalten. Hannelore Cayre hat in Frankreich den Prix du Roman Noir Historique für ihren Roman bekommen. Historisch ist er in der Tat: eine auf mehreren Zeitebenen angesiedelte Geschichte, die vom Deutsch-Französischen Krieg und der Niederschlagung der Pariser Commune, von der Gründung riesiger Vermögen im 19. Jahrhundert und ihren verheerenden Folgen bis zur Klimakatastrophe heute erzählt. Und kriminell handeln hier letztlich alle.
von Thomas Steiner
am Sa, 02. Oktober 2021

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