Theater

"Mayday" erzählt am Theater Freiburg vom Exemplarischen im Ungehörigen

"Mayday" erzählt am Theater Freiburg vom Exemplarischen im Ungehörigen.

"‚Mayday‘ verfügt über keine Dramaturgie im klassischen Sinn", sagt Bastian Karbuth über das Stück, das am Freitag Premiere am Theater Freiburg hat. "Es ist eine Odyssee". Mary Bell, das reale Vorbild von Mary oder May Burns, wird von ihren Taten verfolgt. Sie wird durch halb England fliehen und in Dorothée Zumsteins Stück von den Erinnerungen gejagt werden.

Die britische Justiz war auf einen Fall wie den der Mary Bell 1968 nicht vorbereitet. Nachdem man die Elfjährige zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Totschlags von zwei Kleinkindern verurteilt hatte, wusste man nicht, wohin mit ihr. Als einziges Mädchen sollte sie die kommenden Jahre in der Red Bank Secure Unit in der Nähe von Liverpool verbringen, wo Jungen verwahrt wurden, die ein Schwerverbrechen begangen hatten. Mary Bells Tat war so ungeheuerlich, dass sie Ratlosigkeit hinterließ. Und Sensationslust. Als Bell mit 22 Jahren entlassen wurde, gründete sie eine eigene Familie, sie bekam eine Tochter, musste jedoch immer wieder umziehen, da ihr die Boulevardpresse Bell, obgleich diese längst eine andere Identität angenommen hatte, auf den Fersen war.

Dorothée Zumsteins Drama "Mayday" macht Andeutungen, wie es so weit kommen konnte. Hätte man sich nicht erst in der Jugendarrestanstalt um sie gekümmert, vielleicht wären die vier- und dreijährigen Nachbarsjungen nicht Opfer eines solchen Verbrechens geworden. Zumsteins Stück, das für die Freiburger Inszenierung vom Dramaturgen Rüdiger Bering aus dem Französischen übersetzt wurde, erweitert die Sicht auf eine unselige Generationsfolge. Schon Alice, die Großmutter von Mary Burns, wie sie im Stück heißt, verrät ihre eigene Tochter. Vermutlich versucht Betty mehrfach, ihre Tochter Mary umzubringen, die nie die Identität ihres Vaters erfahren wird. Betty, wie viele Frauen der Arbeitersiedlung Scotswood in Newcastle-Upon-Tyne, verdient sich durch Prostitution ihr Geld, hält die Tochter zu sexuellen Dienstleistungen an ihren Freiern an. Die Gegend ist heruntergekommen, die Verwahrlosung und Hoffnungslosigkeit groß. Zumsteins Stück, das jetzt am Theater Freiburg seine deutschsprachige Erstaufführung durch den Regisseur Bastian Kabuth erfährt, ist kein dokumentarisches Sozialdrama. Es stellt die Geschehnissen und die Verdrängungsmechanismen in Anspielungen und einer Kunstsprache dar, die nicht alles konkret benennt. An diesem Kunstcharakter wird sich auch Kabuths Inszenierung orientieren.

Auf den ersten Blick ist "Mayday" weit entfernt von der Oberhausener Übernahme "Atmen", die auf der Kammerbühne zu sehen war. Hier das Bionadebürgertum, dort eine verarmte Arbeiterschaft, der die Werte abhandengekommen sind. Auf den zweiten Blick wird sichtbar, dass beide Stücke anhand von Biografien Exemplarisches erzählen. Sei es von den engen Grenzen bürgerlicher Liberalität, sei es von einem Verbrechen von geradezu mythologischer Schwere. Bastian Kabuth, 1987 in Oberhausen geboren, interessieren solche nur scheinbar private Geschichten. Nachdem Kabuth neun Jahre Regieassistent war, zuerst am Berliner Ensemble, dann während der Intendanz von Peter Carp in Oberhausen, ist er jetzt so etwas wie der Joker im Team. Als künstlerischer Produktionsleiter kümmert er sich um Gastspiele, er inszeniert und ist in der Passage 46 zusammen mit Norbert Mehl fürs Programm zuständig.

Termine: Freiburg, Theater, Kleines Haus,
Premiere
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Fr, 11. Mai, 20 Uhr. Weitere Aufführungen: 21. und 31. Mai sowie 19. Juni
von Annette Hoffmann
am Fr, 11. Mai 2018

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