"Currency of Man"
Melody Gardots neue CD ist eine Weltanklage
Kommt sie? Oder kommt sie nicht? Mittags um kurz nach halb eins ist die Stimmung in einem Hamburger Hotel angespannt, nachdem Melody Gardot x-mal den Gesprächstermin verschoben hat. Und nicht nur das: Das Zimmer, das ursprünglich für sie gebucht worden war, fand vor ihren gestrengen Augen keine Gnade. Also hat sie kurzerhand die Unterkunft gewechselt.
All das beschwört das Bild einer zickigen Diva herauf – und wird korrigiert, als die ganz in Schwarz gekleidete Amerikanerin dann endlich die Interviewsuite betritt. Küsschen links, Küsschen rechts – die Sängerin gibt die beste Freundin. Stolz präsentiert sie ihren silbernen Ring, ein altes Familienerbstück. Sie trägt noch einen weiteren aus Kokosnussholz, ein guter Freund hat ihn ihr geschenkt. "Wenn ich diese Schmuckstücke trage", sagt sie, "habe ich das Gefühl, den Menschen, die ich liebe, nah zu sein."
Das ist ihr wichtig, weil sie ein Nomadenleben führt. Schon als Kind zog sie ständig von einer Stadt zur nächsten. Ihr Appartement in Philadelphia hat sie vor Jahren aufgelöst. Fast alles, was sie besaß, verschenkte sie: "Weil ich Buddhistin bin, beschränke ich mich jetzt auf die Dinge, die ich wirklich brauche." Dazu gehören ihre Gitarren oder ihre Yogamatte, bei Reisen hat sie sie stets im Gepäck: "Am liebsten würde ich jedes Fleckchen auf diesem Planeten erkunden."
Auch die Randgebiete: Als sie mit ihrem Produzenten Larry Klein in Los Angeles ihre vierte CD "Currency of Man" aufgenommen hat, ist sie oft nach Einbruch der Dunkelheit mit ihrem Hund im Stadtteil Venice spazieren gegangen. Außer ihr waren bloß Obdachlose zu Fuß unterwegs. Sie begegnete den Armen, den Randfiguren der Gesellschaft. Mal hielt ihr ein Arbeitsloser einen Vortrag über Quantenphysik, mal tauschte sie sich mit einer alten Frau aus, die nachts Pfandflaschen aus den Mülleimern sammelte. Mit diesen Menschen habe sie die interessantesten Unterhaltungen geführt: "Sie waren nicht so oberflächlich wie diese Prominenten, die nur damit geprahlt haben, dass sie sich gerade einen neuen Porsche gekauft haben."
Also beschloss die 30-Jährige, ihr Album, das 70er-Jahre-Philly-Soul mit Funk und cineastischen Streicherarrangements vermengt, diesen Außenseitern zu widmen. Mit dem Lied "Preacherman" erinnert sie in der Tradition von Bob Dylans Klassiker "The Death of Emmett Till" an den Afroamerikaner dieses Namens, der 1955 gelyncht wurde, weil er einer weißen Frau hinterhergepfiffen hatte. "Ich frage mich, wie er in Vergessenheit geraten konnte", echauffiert sie sich. "Wenn wir nicht endlich aus unserer Geschichte lernen, können wir den Rassismus nie besiegen."
Ihre neue Platte ist ein Mosaikstein dieser Utopie: "Für mich funktioniert sie wie ein Dokumentarfilm, der das festhält, was in unserer Welt im Argen liegt." Besonders an gesellschaftlichen Widersprüchen reibt sich Gardot. Einerseits macht sie in den USA eine Neo-Hippie-Bewegung aus, die sich nach Frieden und Harmonie sehnt. Parallel dazu berichten die Medien täglich von Krieg oder sozialer Ungerechtigkeit: "Unsere Gesellschaft scheint immer weiter auseinander zu driften." Die Ursache dafür liegt ihrer Ansicht nach in der Ich-Bezogenheit des Einzelnen: "Kaum jemand hat einen Gemeinschaftssinn. Die meisten Leute sind bloß mit sich, ihrer Karriere, ihrem Geld und ihren Statussymbolen beschäftigt."
Diesen Egoisten hält sie mit dem Stück "Don’t talk" den Spiegel vor. "Don’t care how much you got, don’t care how much you make" singt sie mit ihrer markanten Stimme, die sich über sphärische Beats legt. Zwischendurch beschwören Geigen pure Nostalgie herauf. "Preacherman" wiederum verschreibt sich dem Soul der 60er und 70er Jahre. Ungeschliffene Gitarrenriffs vereinigen sich mit treibenden Bläsern. Dem Ganzen wird ein Gospelchor beigemischt. Bei "Morning Sun" unterlegt ein Klavier den expressiven Gesang. "If I ever recall your face" oder "Once I was loved" würden sich mit ihren cineastischen Arrangements bestens in einem Film aus den 50ern machen. "Bad News" greift Delta-Blues-Elemente auf.
Der Aura dieser Musik kann man sich einfach nicht entziehen. Damit dürften der erfolgsverwöhnten Künstlerin wieder einmal hohe Chartplatzierungen sicher sein. Doch Verkaufszahlen sind für sie eher zweitrangig. Absolute Priorität hat für sie, dass ihre Botschaften ihre Zuhörer tatsächlich erreichen. "Nicht Status, Herkunft oder Hautfarbe definieren den Wert eines Menschen", stellt sie klar. "Wir sind alle hier, weil wir einen bestimmten Zweck erfüllen."
– Melody Gardot: Currency of Man (Decca), Live: Freiburg, ZMF, Mo, 13. Juli, 20 Uhr, BZ-Kartenservice Tel. 0761 496 8888 von Dagmar Leischow
All das beschwört das Bild einer zickigen Diva herauf – und wird korrigiert, als die ganz in Schwarz gekleidete Amerikanerin dann endlich die Interviewsuite betritt. Küsschen links, Küsschen rechts – die Sängerin gibt die beste Freundin. Stolz präsentiert sie ihren silbernen Ring, ein altes Familienerbstück. Sie trägt noch einen weiteren aus Kokosnussholz, ein guter Freund hat ihn ihr geschenkt. "Wenn ich diese Schmuckstücke trage", sagt sie, "habe ich das Gefühl, den Menschen, die ich liebe, nah zu sein."
Das ist ihr wichtig, weil sie ein Nomadenleben führt. Schon als Kind zog sie ständig von einer Stadt zur nächsten. Ihr Appartement in Philadelphia hat sie vor Jahren aufgelöst. Fast alles, was sie besaß, verschenkte sie: "Weil ich Buddhistin bin, beschränke ich mich jetzt auf die Dinge, die ich wirklich brauche." Dazu gehören ihre Gitarren oder ihre Yogamatte, bei Reisen hat sie sie stets im Gepäck: "Am liebsten würde ich jedes Fleckchen auf diesem Planeten erkunden."
Auch die Randgebiete: Als sie mit ihrem Produzenten Larry Klein in Los Angeles ihre vierte CD "Currency of Man" aufgenommen hat, ist sie oft nach Einbruch der Dunkelheit mit ihrem Hund im Stadtteil Venice spazieren gegangen. Außer ihr waren bloß Obdachlose zu Fuß unterwegs. Sie begegnete den Armen, den Randfiguren der Gesellschaft. Mal hielt ihr ein Arbeitsloser einen Vortrag über Quantenphysik, mal tauschte sie sich mit einer alten Frau aus, die nachts Pfandflaschen aus den Mülleimern sammelte. Mit diesen Menschen habe sie die interessantesten Unterhaltungen geführt: "Sie waren nicht so oberflächlich wie diese Prominenten, die nur damit geprahlt haben, dass sie sich gerade einen neuen Porsche gekauft haben."
Also beschloss die 30-Jährige, ihr Album, das 70er-Jahre-Philly-Soul mit Funk und cineastischen Streicherarrangements vermengt, diesen Außenseitern zu widmen. Mit dem Lied "Preacherman" erinnert sie in der Tradition von Bob Dylans Klassiker "The Death of Emmett Till" an den Afroamerikaner dieses Namens, der 1955 gelyncht wurde, weil er einer weißen Frau hinterhergepfiffen hatte. "Ich frage mich, wie er in Vergessenheit geraten konnte", echauffiert sie sich. "Wenn wir nicht endlich aus unserer Geschichte lernen, können wir den Rassismus nie besiegen."
Ihre neue Platte ist ein Mosaikstein dieser Utopie: "Für mich funktioniert sie wie ein Dokumentarfilm, der das festhält, was in unserer Welt im Argen liegt." Besonders an gesellschaftlichen Widersprüchen reibt sich Gardot. Einerseits macht sie in den USA eine Neo-Hippie-Bewegung aus, die sich nach Frieden und Harmonie sehnt. Parallel dazu berichten die Medien täglich von Krieg oder sozialer Ungerechtigkeit: "Unsere Gesellschaft scheint immer weiter auseinander zu driften." Die Ursache dafür liegt ihrer Ansicht nach in der Ich-Bezogenheit des Einzelnen: "Kaum jemand hat einen Gemeinschaftssinn. Die meisten Leute sind bloß mit sich, ihrer Karriere, ihrem Geld und ihren Statussymbolen beschäftigt."
Diesen Egoisten hält sie mit dem Stück "Don’t talk" den Spiegel vor. "Don’t care how much you got, don’t care how much you make" singt sie mit ihrer markanten Stimme, die sich über sphärische Beats legt. Zwischendurch beschwören Geigen pure Nostalgie herauf. "Preacherman" wiederum verschreibt sich dem Soul der 60er und 70er Jahre. Ungeschliffene Gitarrenriffs vereinigen sich mit treibenden Bläsern. Dem Ganzen wird ein Gospelchor beigemischt. Bei "Morning Sun" unterlegt ein Klavier den expressiven Gesang. "If I ever recall your face" oder "Once I was loved" würden sich mit ihren cineastischen Arrangements bestens in einem Film aus den 50ern machen. "Bad News" greift Delta-Blues-Elemente auf.
Der Aura dieser Musik kann man sich einfach nicht entziehen. Damit dürften der erfolgsverwöhnten Künstlerin wieder einmal hohe Chartplatzierungen sicher sein. Doch Verkaufszahlen sind für sie eher zweitrangig. Absolute Priorität hat für sie, dass ihre Botschaften ihre Zuhörer tatsächlich erreichen. "Nicht Status, Herkunft oder Hautfarbe definieren den Wert eines Menschen", stellt sie klar. "Wir sind alle hier, weil wir einen bestimmten Zweck erfüllen."
– Melody Gardot: Currency of Man (Decca), Live: Freiburg, ZMF, Mo, 13. Juli, 20 Uhr, BZ-Kartenservice Tel. 0761 496 8888 von Dagmar Leischow
am
Sa, 30. Mai 2015 um 00:00 Uhr