"Mich interessieren Menschen"

TICKET-INTERVIEW: Schauspielerin Charlotte Rampling über Gefühle, Beziehungen und den Film "45 Years".

In den 60er Jahren war Charlotte Rampling (69) Fotomodell. Doch sie verlor schnell das Interesse daran und strebte eine Karriere als Schauspielerin an. In "45 Years" erleben wir die Britin mit Wohnsitz in Paris als lange verheiratete Frau, die ihren von Tom Courtenay gespielten Mann als Fremden erlebt. Sie selbst war zweimal verheiratet und ist heute mit dem Franzosen Jean-Noël Tassez liiert. Markus Tschiedert interviewte Charlotte Rampling in London.

Ticket: Waren Sie überrascht, dass Sie und Ihr Filmpartner Tom Courtenay auf der Berlinale für "45 Years" die Darstellerpreise bekamen?
Rampling: Absolut, denn vor der Premiere weiß man nie, wie sein Film aufgenommen wird. Selbst wenn es ein guter Film ist, bleibt fraglich, ob er dem momentanen Zeitgeist entspricht und ob die Zuschauer bereit sind, der Geschichte zu folgen. Das ist jedes Mal überraschend und gibt einem natürlich ein gutes Gefühl, wenn der Film gut angekommen ist.
Ticket: Wie erklären Sie sich, dass dieser Film trotz seiner Ruhe einen Nerv beim Publikum trifft?
Rampling: Genau kann ich es auch nicht sagen. Den Zuschauern gefiel unsere Geschichte, sie konnten und wollten sie nachempfinden. Man könnte das jetzt analysieren, aber das nutzt mir nicht. Ich wollte diesen Film nur machen.
Ticket: Was hat Sie denn an der Geschichte fasziniert?
Rampling: Oh ja, man muss natürlich selbst fasziniert sein, sonst würde man den Film nicht drehen wollen. Was am Ende dabei herauskommt, weiß man jedoch nicht. Ein Pluspunkt war für mich Regisseur Andrew Haigh, der zuvor "Weekend" über ein schwules Pärchen verfilmte. Aber die Homosexualität spielte dabei keine Rolle, sondern es geht um Menschen. Genauso handelt "45 Years" nicht von alten Leuten. Die Beziehung steht im Mittelpunkt und wie wir generell in Beziehungen zueinander stehen. Davon war ich sehr angetan.
Ticket: Inwieweit können Sie sich mit Ihrer Figur Kate identifizieren?
Rampling: Sehr und ein weiterer Grund, warum ich mit der Rolle etwas anfangen konnte. Ich konnte eigene Erfahrungen, Gedanken und auch mein Verständnis darüber einbringen. Emotional war mir Kate sehr nah. Das heißt für mich nicht, dass ich es selbst durchlebe, vielmehr begleite ich Kate bei dem, was ihr widerfährt, und schöpfe dabei aus eigenen Erfahrungen. Darum sind solche Rollen für mich interessant. Denn je älter man wird, desto mehr Erfahrungen hat man, die man nutzen kann, um bestimmte Gefühle über die Augen, seine Sprechweise oder die Art, wie man sich bewegt, auszudrücken.
Ticket: Wie schätzen Sie Beziehungen zwischen einer Frau und einem Mann ein?
Rampling: Mann und Frau sind sehr unterschiedlich, und es gibt nichts, was man daran ändern könnte. Wir müssen daher verstehen lernen, wie es sich in einer heterosexuellen Beziehung mit solchen Unterschieden leben lässt. Tatsächlich haben diese Unterschiede aber auch etwas Schönes. Es kann sehr spannend sein, wenn man gegenseitig versteht, damit umzugehen.
Ticket: Würden Sie zustimmen, dass nicht sogar ein großes Missverständnis zwischen den Geschlechtern besteht?
Rampling: Ja, besonders wenn man noch jung ist. Wenn man älter wird und in einer Beziehung leben möchte, beginnt man, die Unterschiede zu verstehen, sie zu akzeptieren und damit umzugehen.
Ticket: Haben Sie ein Beispiel?
Rampling: Allein wenn es um Gefühle geht. Männer verstecken sie eher, was nicht heißt, dass sie keine haben. Der Mann hat gelernt, sie zurückzuhalten, um zu führen, zu kämpfen, Entscheidungen zu treffen und Kriege zu führen. Ich empfinde das als ein Hindernis für die Männer. Frauen hingegen haben einen Zugang zu ihren Emotionen. Das ist sogar wichtig für eine Frau, denn sie schafft Leben – in ihrem Körper, deshalb steht sie zu der Fülle an Emotionen in Verbindung. Das macht Männern Angst, weshalb sie Frauen manchmal als hysterisch und überreagierend empfinden.
Ticket: Älter werdende Schauspielerinnen klagen oft, dass Rollenangebote ausbleiben. Sie scheinen nie ein Problem damit gehabt zu haben.
Rampling: Ich bin da auch etwas anders herangegangen. Ich wollte von Anfang an nie Teil dieses System sein. Mir war es nie wichtig, in Mainstream-Filmen aufzutauchen. Ich war mehr an Filmen über Menschen und ihre Gefühle interessiert, die eher aus der Experimental- oder Arthouse-Ecke kamen. Das war mein Weg, weshalb ich auch heute noch Filme wie "45 Years" drehe, die wahrhaftiger sind, weil sie von Menschen handeln.
von tsc
am Mi, 09. September 2015

45 YEARS

Regie: Andrew Haigh

Mit Charlotte Rampling, Tom Courtenay, Dolly Wells, David Sibley und anderen
95 Minuten, ohne Altersbeschränk.

Die Story
Kurz vor ihrem 45. Hochzeitstag werden Kate (Charlotte Rampling) und Geoff (Tom Courtenay) von einer Nachricht überrascht. Nach 50 Jahren wurde in den Alpen die Leiche einer verunglückten Frau gefunden. Es handelt sich um die Ex-Freundin von Geoff, der plötzlich beginnt, in Erinnerungen an jene Zeit zu schwelgen. Kate fängt an zu zweifeln, ob ihr Mann sie je geliebt hat...  

Autor: bz

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