Wandern in Freiburg

Mit Waltraut auf dem Holzweg

Im Freiburger Stadtwald steht eine Berühmtheit, die ganze 110 Jahre alt ist: Mit Kind und Hund zum höchsten Baum Deutschlands – der Douglasie Waldtraut.

"Wie, echt jetzt?! Ich bin enttäuscht! Der ist ja … klein!", sagt der eine. "Ja, der sticht gar nicht raus!", pflichtet ihm der zweite bei – dabei wollten wir unseren Teenagersöhnen eine landesweite Besonderheit zeigen, die mit Wald, Holz und Superlativen zu tun hat, und quasi direkt vor der Haustür wächst: den höchsten Baum Deutschlands.

Auf zur dickrindigen Lady

Dabei tun sie ihr Unrecht, der edlen Dame, die solche Beleidigungen nicht verdient hat. Doch zum Glück ist die Lady dickhäutig, pardon, dickrindig, hat schon 110 Lenze auf der Krone, blickt erhaben über die Respektlosigkeiten dieser Winzlinge hinweg – gestatten: Waldtraut vom Mühlwald, ihres Zeichens Douglasie und mit zuletzt am 19. November 2019 gemessenen 67,18 Metern das höchste, was die Republik an Bäumen zu bieten hat.

Wer ihrer rauschenden Schönheit die Aufwartung machen will, muss vom Freiburger Waldhaus aus knapp vier Kilometer zurücklegen und rund 150 Höhenmeter überwinden. Gleich hinter dem Gebäude beginnt ein sattgrüner Mischwald, in dem seltsame Wesen wohnen: Den Anfang macht der Hexenschuss – zum Glück nur aus Holz. Der Künstler Thomas Rees hat für den Skulpturenpfad Waldmenschen wie die Hexe geschnitzt, die grinsend einem armen Holzmann im Rücken hockt. Oder jenen Drachen mit fletschendem Gebiss, Horn und Zunge, der aus dem Dickicht ragt.

Schmale Pfade ziehen sich durch den Wald Richtung Süden und werden später oberhalb von Günterstal zu breiten Wegen. Die rotblühende Rosskastanie macht ihrem Namen Ehre, Hund Jack sucht Stöckchen, nimmt ein Bad im Tümpel, wir Zweibeiner nehmen lieber einen Schluck Wasser aus dem Marxenbrunnen. Besser ist’s, denn jetzt steigt der Weg an, führt nach einem Schild "Deutschlands Höchster Baum 2 km" tief in den knallgrünen Frühlingsmischwald, bis ein Pfad zur Rekordhalterin abbiegt.

Waldbaden mit Waltraut

Und da steht nun die besagte Pseudotsuga menziesii, versteckt sich zwischen Douglasienkolleginnen und sticht deshalb wohl nicht so richtig hervor wie die Jungs bereits bemängelten. Während die beiden googeln, ob das wirklich stimmt mit dem höchsten Baum Deutschlands (tut es) und rätseln, wie man das misst (dazu fragt man Forstamtsmitarbeiter, die wissen das), lasse ich mich auf der Holzliege zu ihren Füßen nieder. Und erliege völlig ihrem Charme: Den dicken, rotbraunen Stamm entlang fliegt der Blick, gleitet meterweise nach oben bis zum dichten Petticoat-Nadelkleid, zu sehen ist nur noch eine Natursymphonie aus Dunkelgrün und Himmelsblau. Die Krone lässt sich allenfalls erahnen. Weil die nordamerikanische Einwanderin trotz ihrer 110 Jahre ein Jungspund ist und momentan jedes Jahr etwa 30 Zentimeter wächst, wird sie bald die Wolken kitzeln.

Auf Wildschweins Spuren

Ein "Können wir weiter?", reißt unsanft aus gedanklichen Höhenflügen, seufz, ja, wir können.

Wir durchwandern einen nicht minder traumhaften Wald, auf schmalem Pfad und durch üppiges Grün, das die Sonne zum Glänzen bringt. So abgelenkt ist die Luisenhöhe schnell erreicht. Dort ist Großbaustelle für ein Wellnesshotel, auf dem Kiesweg klaffen Pfützenkrater – sehr zur Freude von Hund Jack, der das Wildschwein in sich entdeckt und sich ins braune Nass wirft. Dort liegt er, macht Wellness auf hündisch, schlabbert die Brühe und guckt uns an, als würde er grinsen.

Durch den Wald geht’s weiter, mit riesigen Balancierbaumstämmen am Wegesrand und kurz darauf an einem meterlangen Holzstapel vorbei. Zum Glück geht’s endlich bergab, durch Vogelgezwitscher, wärmende Sonne und frisches Grün, das Gemüt nimmt ein Fichtennadelbad. Bald schließt sich der Kreis, es geht am Rehbrunnen vorbei zurück zum Waldhaus, zum Anfang und Ende unserer holzigen Waldtrautrunde.
Info: Die 10 km lange Rundtour vom Waldhaus Freiburg aus kann nach Anmeldung bei Komoot unter http://mehr.bz/waldtraut abgerufen werden.

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von Anita Fertl
am So, 21. Juni 2020 um 07:00 Uhr

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