"Nicht nur ein deutsches Thema"

TICKET-INTERVIEW:Florian Gallenberger über seinen Film "Colonia Dignidad", für den er jahrelang recherchierte.

"Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück" erzählt von der deutschen Sekte, die sich 1961 unter Paul Schäfer in Chile niedergelassen hatte, während der Pinochet-Diktatur auf ihrem Gelände ein Folterzentrum baute und auch eigene Mitglieder misshandelte und missbrauchte. Nun hat sich 1972 in München geborene Regisseur Florian Gallenberger aus dem Stoff einen Kino-Thriller gedreht – mit einer fiktiven Lovestory zwischen Daniel Brühl ("Rush") und Emma Watson ("Harry Potter"). Mit Gallenberger, der 2009 für "John Rabe" den Deutschen Filmpreis bekam, sprach Markus Tschiedert.

Ticket: Wie sind Sie auf das Thema Ihres neuen Films gestoßen?
Florian Gallenberger: Zum allerersten Mal in der dritten Klasse durch meine Lehrerin, die uns eine TV-Reportage über die Colonia gezeigt hatte. Ich weiß noch, wie ich wütend nach Hause kam und meiner Mutter erzählte, dass es in Chile einen Ort gibt, wo Leute festgehalten werden, obwohl sie eigentlich wegwollen. Dann vergisst man das natürlich wieder, doch vor sechs Jahren kam ich durch einen Zeitungsbericht und die Drehbuchidee des Co-Autoren Torsten Wenzel wieder auf das Thema.
Ticket: Und wie entstand der Film? Gallenberger: Mit jedem Schritt tiefer in die Materie wurde das Thema größer und größer – bis es sich als wahnsinnig vielschichtiges Universum aus deutscher und chilenischer Geschichte, menschlichen Verwerfungen und Unrechtstaten entpuppte. Ich fand es dann viel zu wichtig, als das es einfach versandet und wieder vergessen wird.
Ticket: Nahmen Sie auch Kontakt zur Colonia Dignidad auf?
Gallenberger: In den drei bis vier Jahren Recherche nahm ich zu einer jüngeren Gruppe von Mitgliedern Kontakt auf, die in der Colonia geboren und aufgewachsen sind, die Sekte aber mittlerweile verlassen haben. Inzwischen sind daraus sogar Freundschaften entstanden. Einer sagte, dass man immer versuche, das Thema wegzudrücken, aber irgendwann könne man nicht mehr und wolle nur noch auspacken. Diese Entscheidung trafen mehrere und unterstützten aktiv unseren Film. Ticket: Gab es auch Widerstand?
Gallenberger: Alte Mitglieder, die immer noch eine gewisse Nähe zu Paul Schäfer verspürten, sind natürlich gegen den Film, weil er das zeigt, was sie nicht wollen, dass gesehen wird.
Ticket: Wie gehen Sie damit um?
Gallenberger: Wir wollten ein Kinoerlebnis schaffen, und wenn jemand sagt, ich interessiere mich nicht für diese Hintergrundgeschichte, dann wollen wir ihn nicht belehren, sondern, dass er trotzdem einen spannenden Kinofilm sieht. Ich glaube aber, dass die meisten Zuschauer nach dem Film erst mal nach "Colonia Dignidad" googeln werden, weil sie denken: "Das kann doch nicht wahr sein". Unser Film soll das Thema öffnen, er soll die Fragen nicht beantworten, sondern sie aufwerfen.
Ticket: Was viele schockieren wird, ist die Verbindung zwischen Colonia Dignidad und der Deutschen Botschaft in Chile, die damals bestanden haben muss. Wie reagierte man bei diesen Stellen auf Ihr Filmprojekt?
Gallenberger: Das ist natürlich ein Thema, bei dem sich das Auswärtige Amt nicht mit Ruhm bekleckert hat. Das weiß man dort auch, aber da herrscht eher so die Haltung, "Wir machen nichts, dann wird das schon in Vergessenheit geraten". Die Botschaft hat bis 1985 eng mit der Colonia kooperiert. Alle, die es schafften zu fliehen, mussten ja erst mal zur Botschaft, weil sie keine Pässe hatten, um Chile verlassen zu können. Und sie wurden dann von der Botschaft umgehend wieder in die Colonia zurückgeschickt.
Ticket: Wie wichtig war es für dieses Thema, mit einer internationalen Besetzung zu arbeiten?
Gallenberger: Wir wollten daraus einen internationalen Film machen, damit diese Geschichte nicht an den deutschen Landesgrenzen endet. Es ist eine Geschichte, die nicht nur aus deutscher Perspektive interessant ist. Und wir waren natürlich vollkommen begeistert, dass Emma Watson zusagte!
von tsc
am Fr, 19. Februar 2016

Info

COLONIA DIGNIDAD

Regie: Florian Gallenberger
Mit Daniel Brühl, Emma Watson u.a.
110 Minuten, frei ab 16 Jahren

Die Story

Chile nach dem Militärputsch 1973: Fotograf Daniel (Daniel Brühl) gerät als politisch Verfolgter in die deutsche Kommune "Colonia Dignidad", wo Sektenführer Paul Schäfer (Michael Nygvist) für Pinochet Folterkammern eingerichtet hat. Daniels Freundin (Emma Watson) lässt sich als Sektenmitglied einschleusen...  

Autor: bz

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