Ticket-Interview

Paul Verhoeven über seinen Film "Elle", Provokation, Brutalität und Sex

TICKET-INTERVIEW: Der Niederländer Paul Verhoeven über Provokation, Brutalität und Sex.

In den Neunzigern war er einer der prägenden Regisseure Hollywoods, der mit Gewalt- und Sexfilmen wie "RoboCop", "Total Recall" und "Basic Instinct" Hits landete. Bereits in seiner Heimat galt der Niederländer Paul Verhoeven als Provokateur. Filme wie "Türkische Früchte" (1973) galten schon damals wegen ihrer Freizügigkeit als obszön. Immer wieder wurde der heute 78-Jährige an den Pranger gestellt . Mit "Elle" meldet sich der Regisseur nach zehn Jahren auf die Leinwand zurück und wird von Kritikern regelrecht gefeiert. Obendrein ist er Jury-Präsident der Berlinale, die gestern eröffnet wurde. Markus Tschiedert traf ihn zum Interview.

Ticket: Was erwarten Sie sich davon, Jury-Präsident der diesjährigen Berlinale zu sein?
Paul Verhoeven: Ich hoffe, dass das ein großer Spaß wird. Das hängt natürlich auch von den anderen Jury-Mitgliedern ab. Wie gut man miteinander auskommt, wie man diskutiert, eher nett oder aggressiv.
Ticket: Sind Meinungsverschiedenheiten in einer Jury nicht sogar wichtig?
Verhoeven: Manchmal können Diskussionen so politisch werden, dass manche richtig wütend werden können. Das ist dann nicht mehr so nett.
Ticket: Nun sind Sie selbst für Ihre provokanten Filme berühmt und auch Ihr neuer Film "Elle" löst wieder heiße Diskussionen aus...
Verhoeven: Ich sehe das natürlich anders, denn es ist nicht so, dass ich unbedingt provozieren will. Ich mache nur das, was ich will, und wenn manche meinen, dass das Ergebnis provokant ist, dann wird es wahrscheinlich so sein. Aber das würde mich nie daran hindern, einen Film so zu drehen, wie ich es für richtig halte, selbst wenn es eine Erektion ist, die gezeigt werden muss, weil ich das für richtig halte. Dafür akzeptiere ich aber auch die Konsequenzen.
Ticket: Sind Sie dann überrascht, wenn Kritiker darüber herfallen?
Verhoeven: Selbst in meiner Heimat Holland hagelte es etwa für "Spetters" und "Showgirls" böse Kritiken. Damals war ich über solche Reaktionen schon überrascht. Dennoch habe ich nie der Provokation wegen provoziert. Letztlich war es mir aber auch egal, ob ich provoziere, denn ich hätte den einen oder anderen Film gar nicht anders drehen wollen.
Ticket: Bedauern Sie es manchmal, dass Filme wie "Türkische Früchte" und "Spetters", in denen Sie ganz freizügig Sexualität darstellten, der Vergangenheit angehören?
Verhoeven: Mit 30 dreht man noch andere Filme als mit 50 oder 70. Denn mit jedem Alter sieht man das Leben anders, weshalb ich es ganz natürlich finde, sich mit dem Älterwerden anderen Themen zuzuwenden. In Hollywood drehte ich Filme wie "Robocop", die gewalttätiger und bösartiger waren.
Ticket: Ihr Spätwerk "Elle" wird gerade als einer Ihrer besten Filme bewertet, von den Kritikern gefeiert und für den Oscar nominiert...
Verhoeven: Ich weiß nicht, ob man mit dem Alter bessere Filme dreht oder ob "Elle" besser ist als "Robocop". Es sind auf jeden Fall zwei ganz unterschiedliche Filme, und "Elle" habe ich mir gewiss nicht ausgesucht, weil es um Sex und Vergewaltigung geht. Was mich interessierte, war die Beziehung von Isabelle Huppert als Hauptfigur Michèlle zu ihren Eltern, ihrem Sohn, ihrem Ex-Mann und zu ihrem Vergewaltiger. Das hat mich in meinem jetzigen Alter mehr angesprochen als vielleicht noch mit 25. Aber jetzt, wo ich selbst Kinder und Enkel habe, sehe ich manche Dinge anders.
Ticket: Aber auch in "Elle" geht es wieder ziemlich gewalttätig zu...
Verhoeven: Gewalt ist für mich etwas Natürliches. Sie lässt sich nicht verneinen. Man muss doch nur mal in die Zeitung schauen. Oder sich Fotos des Hubble-Weltraumteleskops ansehen: Galaxien fressen sich gegenseitig auf, Gewalt scheint notwendig zu sein, damit neue Sterne entstehen können. Ich selbst bin mit Gewalt groß geworden, als Holland von den Nazis besetzt war. Gewalt ist nichts Erfundenes, sie ist einfach vorhanden und beherrscht den Menschen genauso wie Sex.






von tsc
am Fr, 17. Februar 2017

Info

ELLE

Regie: Paul Verhoeven
Mit Isabelle Huppert, Laurent Lafitte, Anne Consigny, Charles Berling u. a.
131 Minuten, frei ab 16

Die Story
Die eiskalte Karrierefrau Michèle Leblanc (Isabelle Huppert) wird das Opfer einer Vergewaltigung – was ihr Leben einigermaßen verändert. Anstatt zur Polizei zu gehen, will sie ihrem Peiniger selbst auf die Schliche kommen, um sich zu rächen. Doch dann kommt es anders...  

Autor: bz

Badens beste Erlebnisse