Theater

Sascha Flocken inszeniert das Projekt "Mehrheitsgesellschaft" am Theater Freiburg

TICKET-INTERVIEW:Sascha Flocken zu "Mehrheitsgesellschaft" am Theater Freiburg.

Sascha Flocken (31) studierte Politikwissenschaft und Philosophie in Mannheim, seit 2009 arbeitet er am Theater Freiburg. Nach seiner Zeit als Regieassistent inszenierte er "Tschick", die "NSU-Protokolle" und jetzt das Projekt "Mehrheitsgesellschaft". Lisa Blitz hat den Regisseur getroffen.

Ticket: Herr Flocken, Sie haben Politik studiert, mit den "NSU-Protokollen" und "Mehrheitsgesellschaft" widmen Sie sich aktuellen Themen. Ist das Theater für Sie ein Raum politischer Auseinandersetzung?
Flocken: Das war eine der Motivationen, nach dem Studium ans Theater zu gehen: politische Themen nicht in einem akademischen Kontext zu bearbeiten, sondern sich auf anderer Ebene damit aus-einanderzusetzen. Das Theater ist ein Ort des gesellschaftlichen Diskurses. Zudem ist es eine große Qualität des Theaters, Geschichten zu erzählen. Man kann es nicht auf einen dieser Zwecke reduzieren.
Ticket: Wie ist das bei den "NSU-Protokollen" und "Mehrheitsgesellschaft"?
Flocken: Klar haben beide Stücke einen politischen Hintergrund. Doch es geht nicht nur darum, ein politisches Thema abzuarbeiten. Die "Mehrheitsgesellschaft" muss eine Vision entwerfen, die wir mit den Zuschauern teilen. Und bei den Protokollen wird ganz viel verhandelt: die Bedingungen von Gerechtigkeit, das Versagen der Sicherheitsbehörden, individuelle Probleme. Auch sie erzählen eine Geschichte. Leider eine extrem traurige und frustrierende, über die man danach – was wir tun – diskutieren kann.
Ticket: Für "Mehrheitsgesellschaft" arbeiten Sie mit den "methusalems", jungen Geflüchteten und der Musikerin Bernadette La Hengst zusammen. Was macht fürSie den Reiz dieser Arbeit aus?
Flocken: Als wir 2014 begonnen haben, ging es vor allem darum, wie sich unsere Gesellschaft durch Migration verändert. Vom Sommer 2015 an wurden wir von den Ereignissen überholt. Der Wille, einen Abend zu machen, der sich damit beschäftigt, wie sich die Gesellschaft verändert, hat sich grundlegend verändert. Ob wir das schaffen, wurde auf oberster politischer Ebene diskutiert und hat eine neue Reichweite gewonnen.
Ticket: Könnten Ihre ersten Überlegungen fast als Prognose bezeichnet werden?
Flocken: Wir wollten ein Problem thematisieren, das damals schon akut war. Man wusste, dass Migration immer mehr zunimmt. Doch wie krisenhaft ist das? Muss man von einer Flüchtlingskrise sprechen? Ich bin der festen Überzeugung: Klar schaffen wir das. Was wäre die Alternative? Zumachen und sagen: Kommt selbst klar, wir haben nichts damit zu tun? Das ist grundfalsch.
Ticket: Welche Herausforderungen gab es bei der Produktion?
Flocken: Ein organisatorisches Problem: die Zeit. Die "Bordercrossers" – diesen Namen haben sich die jungen Geflüchteten selbst gegeben – wollen unbedingt ins Leben starten, die "methusalems" stehen mitten im Leben. Beide Gruppen haben wenig Zeit. Und natürlich ist Sprache ein Riesenthema. Auch Werte, Traditionen und Gewohnheiten müssen übersetzt werden. Das bremst aus und verkompliziert vieles. Eine Lehre aus diesem Projekt für gesellschaftliches Miteinander: Es ist nicht einfach, aber das Ergebnis ist es wert.
Ticket: Was darf das Publikum erwarten?
Flocken: Dass wir die Fragen diskutieren: Wie kann sie aussehen, die Gesellschaft der Zukunft? Sind wir zukunftsfähig? Und schaffen wir das? Es geht um eine spielerische und lustvolle Auseinandersetzung auf der Bühne, mit den Gruppen und der Musikerin. Ich kann versprechen, es wird unterhaltsam.
Ticket: Was sollen die Zuschauer mitnehmen?
Flocken: Wir wollen sie damit entlassen, dass wir das schaffen müssen und schaffen werden. Wir wollen, dass sie merken, dass unsere Gesellschaft aus Individuen besteht und es das Wichtigste ist, einander zuzuhören – und nicht nur übereinander reden. Übereinander geredet wird gerade dermaßen viel: über das Andere, die Anderen und darüber, wie sie sind, dass es fast unerträglich ist.

Termine: Freiburg, "Mehrheitsgesellschaft", Theater, Kammerbühne; Premiere: Sa, 30. Jan., 18 Uhr; weitere Aufführungen: 5. und 7. Feb., 18 Uhr, 10. Feb., 20 Uhr, 13. Feb., 18 Uhr, 18., 26. und 27. Feb., 20 Uhr
von bz
am Fr, 29. Januar 2016

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