Interview
„Sieben Minuten nach Mitternacht“-Autor Patrick Ness über Ängste und Fantasien
Sein Roman "Sieben Minuten nach Mitternacht" war auch bei uns ein Bestseller, 2012 bekam Patrick Ness (45) dafür den Deutschen Jugendliteraturpreis. Nach Büchern wie "Die Nacht des Kranichs" und "Mehr als das" verfasste der US-Autor mit Wohnsitz in England nun auch das Drehbuch für die Verfilmung von "Sieben Minuten nach Mitternacht". Ein fantasievolles Märchen mit ernstem Thema, das nun hochkarätig besetzt in unsere Kinos kommt. Mit Ness sprach Markus Tschiedert.
Ticket: Ihr Roman erzählt von einem Jungen, der in seiner Fantasie einem Baum-Monster begegnet. Wie kommt man auf so etwas?
Patrick Ness: Die Idee für den Roman hatte meine Kollegin Siobhan Dowd, die an Krebs gestorben ist. Bei ihr erinnerte das Baum-Monster eher an eine nette Großmutter. Für mich musste es aber ein furchteinflößendes, maskulines Monster sein, denn vielleicht sucht der Junge nach einer Vaterfigur oder es sind Anteile von ihm. Ich fragte mich, was für ein Monster würde ein Junge in seiner Situation wohl rufen.
Ticket: Ein freundliches Monster ist es bei Ihnen nicht mehr...
Ness: Für mich gibt es einen großen Unterschied zwischen nett und gütig. Wenn jemand sehr, sehr nett ist, aber nicht gütig, ist das ganz schön übel. Man kann aber auch gütig sein, ohne nett zu sein, und das trifft auf mein Monster zu. Es ist nicht wirklich nett, aber in letzter Konsequenz sehr gütig, und das interessierte mich sehr viel mehr.
Ticket: Gab es in Ihrer Kindheit Monster in Ihrer Phantasie?
Ness: Als ich noch sehr klein war, zog ich mit meiner Familie von Hawaii in den Nordwesten der USA. Wann immer ich Alpträume hatte, kam darin Bigfoot vor. Er ist nicht wirklich gruselig, aber für einen kleinen Jungen kann die Vorstellung, dass irgendetwas aus einem Wald erscheint, sehr erschreckend sein. Wenn ich heute von Monstren träume, dann sind es stets die Dinosaurier aus "Jurassic Park". Keine Ahnung, warum dieser Film von 1993 so einen tiefen Eindruck bei mir hinterließ, aber es ist mir tatsächlich peinlich (lacht).
Ticket: "Jurassic Park"-Regisseur Spielberg wäre auch perfekt für die filmische Umsetzung von "Sieben Minuten" gewesen...
Ness: Ja, darüber sprachen wir mal, aber er drehte zuletzt "BFG – Big Friendly Giant", was eine ziemlich ähnliche Geschichte ist. Juan Antonio Bayona ist aber genauso perfekt: Wir haben die gleiche Einstellung, wenn es um eine kindliche Sichtweise geht, die ernst genommen werden muss. Wir haben beide den Willen, Genres zu kombinieren, um eine Geschichte zu erzählen. Es finden sich also Elemente aus dem Horrorfilm wie aus dem Thriller- und Fantasy-Genre. Ein perfekter Weg, um eine möglichst realistische Story zu erzählen.
Ticket: Haben Sie eine Erklärung, warum sich Menschen schon immer gigantische Ungeheuer eingebildet haben?
Ness: Es geht dabei um das Monster in uns – weil wir auch eine dunkle Seite haben. Wir können uns Monstergeschichten auszudenken, die auf gesicherte Weise unterhaltsam sind und in denen das Monster am Ende erlegt wird. Wobei man Monster nicht wirklich erlegen kann, sie verschwinden und kommen in anderer Gestalt wieder. Doch spreche ich mich stets dagegen aus, Menschen als Monster zu bezeichnen.
Ticket: Wenn Sie Geschichten über Kinder schreiben, werden Sie dann selbst wieder zum Kind?
Ness: Die Geschichte muss zuerst mir gefallen, sonst hat sie keine Chance, einen Leser anzusprechen. Der einzige Unterschied, wenn ich für junge Leser schreibe, ist, dass ich mich in mein jüngeres Ich zurückversetze.
Ticket: Glauben Sie, Kinder lesen heute noch so viel wie früher?
Ness: Ich weiß es sogar! Denn ich erlebe Teenager weder als Lehrer noch als Eltern, sonst kann einen ganz anderen Blick auf sie werfen, wenn sie mit ganzen Bücherstapeln unterm Arm zu Lese-Events kommen. Übrigens mögen sie keine E-Books, sondern wollen ein Buch in der Hand halten, um sagen zu können, das Buch gehört mir.
von tsc
Patrick Ness: Die Idee für den Roman hatte meine Kollegin Siobhan Dowd, die an Krebs gestorben ist. Bei ihr erinnerte das Baum-Monster eher an eine nette Großmutter. Für mich musste es aber ein furchteinflößendes, maskulines Monster sein, denn vielleicht sucht der Junge nach einer Vaterfigur oder es sind Anteile von ihm. Ich fragte mich, was für ein Monster würde ein Junge in seiner Situation wohl rufen.
Ticket: Ein freundliches Monster ist es bei Ihnen nicht mehr...
Ness: Für mich gibt es einen großen Unterschied zwischen nett und gütig. Wenn jemand sehr, sehr nett ist, aber nicht gütig, ist das ganz schön übel. Man kann aber auch gütig sein, ohne nett zu sein, und das trifft auf mein Monster zu. Es ist nicht wirklich nett, aber in letzter Konsequenz sehr gütig, und das interessierte mich sehr viel mehr.
Ticket: Gab es in Ihrer Kindheit Monster in Ihrer Phantasie?
Ness: Als ich noch sehr klein war, zog ich mit meiner Familie von Hawaii in den Nordwesten der USA. Wann immer ich Alpträume hatte, kam darin Bigfoot vor. Er ist nicht wirklich gruselig, aber für einen kleinen Jungen kann die Vorstellung, dass irgendetwas aus einem Wald erscheint, sehr erschreckend sein. Wenn ich heute von Monstren träume, dann sind es stets die Dinosaurier aus "Jurassic Park". Keine Ahnung, warum dieser Film von 1993 so einen tiefen Eindruck bei mir hinterließ, aber es ist mir tatsächlich peinlich (lacht).
Ticket: "Jurassic Park"-Regisseur Spielberg wäre auch perfekt für die filmische Umsetzung von "Sieben Minuten" gewesen...
Ness: Ja, darüber sprachen wir mal, aber er drehte zuletzt "BFG – Big Friendly Giant", was eine ziemlich ähnliche Geschichte ist. Juan Antonio Bayona ist aber genauso perfekt: Wir haben die gleiche Einstellung, wenn es um eine kindliche Sichtweise geht, die ernst genommen werden muss. Wir haben beide den Willen, Genres zu kombinieren, um eine Geschichte zu erzählen. Es finden sich also Elemente aus dem Horrorfilm wie aus dem Thriller- und Fantasy-Genre. Ein perfekter Weg, um eine möglichst realistische Story zu erzählen.
Ticket: Haben Sie eine Erklärung, warum sich Menschen schon immer gigantische Ungeheuer eingebildet haben?
Ness: Es geht dabei um das Monster in uns – weil wir auch eine dunkle Seite haben. Wir können uns Monstergeschichten auszudenken, die auf gesicherte Weise unterhaltsam sind und in denen das Monster am Ende erlegt wird. Wobei man Monster nicht wirklich erlegen kann, sie verschwinden und kommen in anderer Gestalt wieder. Doch spreche ich mich stets dagegen aus, Menschen als Monster zu bezeichnen.
Ticket: Wenn Sie Geschichten über Kinder schreiben, werden Sie dann selbst wieder zum Kind?
Ness: Die Geschichte muss zuerst mir gefallen, sonst hat sie keine Chance, einen Leser anzusprechen. Der einzige Unterschied, wenn ich für junge Leser schreibe, ist, dass ich mich in mein jüngeres Ich zurückversetze.
Ticket: Glauben Sie, Kinder lesen heute noch so viel wie früher?
Ness: Ich weiß es sogar! Denn ich erlebe Teenager weder als Lehrer noch als Eltern, sonst kann einen ganz anderen Blick auf sie werfen, wenn sie mit ganzen Bücherstapeln unterm Arm zu Lese-Events kommen. Übrigens mögen sie keine E-Books, sondern wollen ein Buch in der Hand halten, um sagen zu können, das Buch gehört mir.
von tsc
am
Fr, 05. Mai 2017
Info
SIEBEN MINUTEN NACH MITTERNACHT
Regie: Juan Antonio Bayona
Mit Lewis MacDougall, Liam Neeson, Sigourney Weaver, Felicity Jones u.a.
109 Minuten, frei ab 12 Jahren
Die Story
In der Schule wird Conor (MacDougall) gehänselt, seine Mutter (Jones) hat Krebs – so träumt sich der 11-Jährige in eine Fantasie-Welt. In der lebt ein Monster, das wie ein knorriger Baum aussieht und den Jungen mit der Realität konfrontiert...
Autor: tsc