Wacklige Freiheit unter den Wolken

Pilot für einen Tag im Selbstversuch.

Ü ber den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, vermutet Reinhard Mey. Ob er auch weiß, wie wacklig der Weg dorthin ist? Hier ein Selbstversuch eines durch nichts für die Fliegerei prädestinierten: Plomben im Mund, Brille auf der Nase und ein Magen, der bei der dritten Runde Schiffschaukeln leichte Zweifel an der Nützlichkeit des Unterfangens anmeldet. "Es gibt viele Klischees über die Fliegerei", sagt Wolfram Walter. Die meisten seien falsch. "Fürs normale Fliegen muss man nicht die Fliehkraft eines Düsenjets in der Steilkurve aushalten können." Das klingt ermutigend. Aber als es dann losgeht und wir auf dem riesigen Rollfeld in Bremgarten, in Richtung Startposition rollen, ist die Hand am Steuerknüppel etwas feucht. Wolfram Walter gibt Gas und ein paar Sekunden später heben wir ab. Ziemlich mühelos, irgendwie.

Aber so einfach ist die ganze Sache dann doch nicht. Denn leider ist nicht nur die Freiheit grenzenlos, auch die Dimensionen lösen sich auf. In der linken Hand eine Art Joystick, in der rechten den Gashebel zwischen den Beinen, die Füße sollen das Flugzeug in der richtigen Lage halten. Wer am PC schon dutzende Landungen überstanden hat, der kapiert zumindest das Prinzip. Wer nicht, muss es erstmal ausprobieren. Dazu ergibt sich schnell die Möglichkeit. Über uns schweben an diesem heißen Tag kleine Wölkchen. Wer weiß, wie Thermik funktioniert, kann sich den Effekt vorstellen. Unter der Wolke ist der Auftrieb geringer, also schüttelt es die Ikarus C-42 - den "VW Golf unter der Ultraleichtflugzeugen" (Wolfram Walter) - kurz durch. Beziehungsweise: Es schüttelt nur, wenn der "Pilot für einen Tag" den Knüppel in der Hand hält. Wenn Wolfram Walter die Steuerung übernimmt, um zu demonstrieren, wie Fliegen funktioniert, wird aus wildem Kippeln sanftes Ruckeln.

"Immer der Nase nach", ist das Fliegermotto für den Anfang. Damit meint Wolfram Walter die Flugzeugnase. Wenn mehr Himmel zu sehen ist, geht es nach oben, ist mehr Boden zu sehen, geht es nach unten - unter uns: Es sieht erstmal aus wie ein Absturz, auch wenn es nur ein paar Grad sind.

Wer es genauer wissen will, schaut auf die Anzeigen: Höhenmesser, Temperatur, dazu gibt es Funk an Bord und ein GPS-Gerät, damit man sich nicht verfliegt. Besonders wichtig: "Die Libelle", sieht so aus wie die Wasserwaage für den dritte Dimension.

Ich selbst habe die "Libelle" im Magen, zum Glück trifft sie dort auf kein Frühstück. Dennoch ist der Wunsch groß, dass das Insekt immer schön im Lot bleibt. In der Theorie ist das nicht schwierig - "mit den Füßen die Balance halten", sagt Wolfram (in der Luft wird geduzt). Aber ich fühle mich wie beim ersten Anfahren am Berg in der Fahrschule. Damals hat es irgendwie geklappt, heute klappt es auch. Aber: ein bisschen zu viel mit diesem oder jenem Pedal gedrückt und statt der lärmempfindlichen Passanten meldet sich die Libelle.

Ein Ultraleichtflugzeug darf, wenn es in die Luft geht, maximal 472,5 Kilogramm wiegen. Die Ikarus wiegt 272 Kilogramm, alles was sonst an Bord sein soll, muss einkalkuliert werden. Für einen vollen Tank (100 Liter wiegen etwa 70 Kilogramm ) und zwei Personen wird es knapp - so sie nicht Skispringer sind. Aber zum Glück sind Ultraleichtflugzeuge sparsam im Verbrauch: In einer Flugstunde schluckt die Ikarus etwa 12 Liter Superbenzin. Die Reichweite ist hoch.

Für Wolfram Walter und seinen Partner Heinz Korella liegen die Vorteile der Ultraleichtfliegerei auf der Hand: Die Maschinen machen kaum Lärm und können Dank ihrer Tragflächen auch Segeln. Das ermöglicht genussvolles Fliegen ganz ohne Lärm.

Zuvor und nur für alle Fälle: "Wenn ich einen Herzinfarkt bekommen sollte, dann zieh den roten Hebel", sagt Wolfram . Der rote Hebel zündet das Rettungsgerät. Das ist ein 20 Quadratmeter großer Fallschirm, den eine kleine Rakete durch eine Sollbruchstelle der Flugzeughaut nach oben schießt. Schon aus geringer Höhe ermöglicht das eine sichere Landung. Klingt gut. "Und dann hoffen, dass wir nicht auf der A 5 landen." Klingt weniger gut. Oft kommt das Gerät nicht zum Einsatz, aber "im Jahr 2002 hat das Gerät immerhin sechs Mal Leben gerettet". Und ganz nebenbei gibt es auch meiner inneren Libelle die nötige Ruhe.

Martin Pfefferle

Pilot für einen Tag beim ASD Aero-

Service- Dreiländereck im Gewerbepark Breisgau, Freiburger Straße 19 c in Eschbach; [TEL] 07634/552160

am Fr, 16. Juli 2004

Badens beste Erlebnisse