Wien, ganz nah an Buenos Aires

Die Holst-Sinfonietta spielte in Freiburg.

"In dieser Monarchie", lässt Joseph Roth eine seiner unverwechselbaren Figuren in seinem Roman "Die Kapuzinergruft" sagen, "ist nichts merkwürdig." Kürzer, prägnanter und gleichzeitig ironischer lässt sie sich kaum beschreiben, die versunkene k.u.k. Monarchie, "deren Substanz", nochmals Roths Graf Chojnicki, von den Kronländern "genährt" wurde. Gustav Mahler, selbst in einem dieser Kronländer, der Markgrafschaft Mähren, aufgewachsen, hat in seiner Musik, zumal seiner fünften Sinfonie, das Merkwürdige dieser Epoche im Roth’schen Sinne als "selbstverständlich" beschrieben.

Und hier kommt, über ein Jahrhundert danach, Klaus Simon ins Spiel. Der Freiburger Pianist und Dirigent hat als Arrangeur wiederholt bewiesen, dass er Mahlers Musik treffend für eine kleine "Salonbesetzung" zu arrangieren versteht und dadurch das scheinbar Monumentale gnadenlos entblättert. Im Fall der fünften Sinfonie scheint das besonders problematisch zu sein, da doch dies "verfluchte Werk" (Mahler) mit Kontrasten geradezu überladen scheint. Doch die Uraufführung mit der 18-köpfigen Holst-Sinfonietta im Freiburger E-Werk unter Simons Leitung zeigt, wie sicher sich die Pole "merkwürdig" und "selbstverständlich" in diesem Arrangement widerspiegeln.

Mahler im Caféhaus?

In der ersten Fassung hatte Mahler die 1904 uraufgeführte Sinfonie geradezu überinstrumentiert; Simons verdichtete Version ist deshalb eine Studie zu den Möglichkeiten der Polyphonie. Ein Hohlspiegel auf das Groteske, Verzerrte, in dem Mahlers Kosmos aus den unterschiedlichsten musikalischen Stilrichtungen noch deutlicher wird. Der militärische Charakter der ersten Abteilung, der Trauermarsch, wird durch den kammermusikmalischen Klang zum Zerrbild eines "Kondukts". Mahler im Caféhaus? Das ist keine Verhöhnung, im Gegenteil: Wenn man bedenkt, dass das geistige Leben in diesem "Treibhaus Wien" (so der treffende Titel des Abends) zu einem nicht unerheblichen Teil dort stattfand, dann taucht Simons Variante am passenden Ort in diese Zeit ein. Es gibt Passagen gerade in der ersten Abteilung, da rückt Wien ganz nah an Buenos Aires, da klingt Mahler fast wie Piazzolla. Und das nicht allein wegen des für Füllstimmen eingesetzten Akkordeons...

Auch Simons Alban-Berg-Bearbeitungen fokussieren die Musik, machen das Abstrakte im Passacaglia-Fragment konkreter und besorgen in den Vier Stücken für Klarinette einen authentischen Kammerklang. Julien Laffaire spielt sie mit traumwandlerisch sicherem, lyrischem Zug, wie überhaupt die Sololeistungen an diesem Abend (Horn, erste Violine, Holzbläser) bemerkenswert sind. Nur in Sachen rhythmischer Präzision besteht im Hinblick auf die anstehende CD-Produktion Luft nach oben...
von Alexander Dick
am Do, 27. November 2014

Badens beste Erlebnisse