Rezension

"Winters Garten": Warten auf das Ende

– und das mit Lust und Verve.

Es muss so etwas geben wie ein österreichisches Todessehnsuchtsgen. Eine lokal vererbliche Schriftstellerprogrammierung, die dafür sorgt, dass es möglich und geradezu notwendig ist, über das Dunkelste und Unergründlichste, das Schmerzlichste und Verstörendste auf eine Art und Weise zu schreiben, die ein ästhetischer und sprachlicher Hochgenuss ist; in einem Varianten- und Vokabelreichtum, dass vor dem inneren Auge des Lesers die erhabensten, die prächtigsten und zugleich erschreckendsten Bilder entstehen. Thomas Bernhard war natürlich so einer, ein vom Tod Besessener, der seinen Fürsten Saurau in der "Verstörung" den zentralen Satz aufsagen lässt, das Leben sei die Schule des Todes. Oder Josef Winkler, der Büchnerpreisträger aus Kärnten, dessen exakt choreographierte Satzkaskaden geradezu litaneienhaft das Lied vom Kreislauf von Werden und Vergehen singen.

Und nun tritt mit der gerade einmal 26 Jahre alten Grazerin Valerie Fritsch eine Schriftstellerin auf den Plan, deren zweiter Roman "Winters Garten" (ihr Debüt "VerkörperungEN" erschien 2011 in einem Kleinverlag) mit Lust und Verve nichts Geringeres heraufbeschwört als den Weltuntergang. Ein Buch, das exakt Balance hält zwischen dem Leben und dem Sterben; das aufzeigt, dass das eine schon immer im anderen angelegt ist. Vor allem aber ein Buch, das in seiner ungeheuren Ausdruckskraft tatsächlich so etwas wie ein kleines Wunder darstellt.

Anton Winter heißt der Protagonist, und er wächst in einem Schwebezustand der Zeitlosigkeit in einem vermeintlichen Paradies auf: Der Garten seiner Kindheit ist zum einen ein hoch symbolischer Ort, zum anderen aber auch in seiner Üppigkeit ein ganz konkreter Daseinszustand; ein Platz, an dem Menschen, Tiere und Pflanzen in harmonischer Einheit und gegenseitiger Achtung miteinander existieren. Jedes Detail ist mit Leben und Fruchtbarkeit gefüllt, mit Farben, Gerüchen, Wahrnehmungen. Doch gleichzeitig wohnt diesem märchenhaften Szenario bereits etwas Morbides, aus sich selbst heraus Verfaulendes inne. Valerie Fritsch, die für "Winters Garten" bereits mit dem Peter-Rosegger-Preis ausgezeichnet wurde, findet immer wieder unglaublich prägnante und starke Bilder.

Allen voran ist es das Wesensumfeld der Großmutter, in dem sich die Ambivalenz von Erblühtem und Verdorbenen abbildet: Die Großmutter, das eigentliche Familienoberhaupt, bewahrt im obersten Regal der Speisekammer, zwischen Käselaiben und Flaschen mit Holundersaft, in sechs Gläsern ihre sechs Fehlgeburten auf. Immer wieder betrachtet der kleine Anton die in Formalin eingelegten Gebilde in ihrer doppelbödigen Schönheit.

Dass all das nicht bloß Selbstzweck ist; dass es Valerie Fritsch keineswegs darum geht, sich an der eigenen Formulierungskraft zu berauschen oder einen bloßen Überwältigungsfeldzug zu inszenieren, zeigt sich spätestens dann, wenn sie mit einem harten Schnitt Anton Winter aus dem Kindheitsgarten vertreibt und in ein unheilvolles apokalyptisches Szenario hineintreibt.

Jahrzehnte später lebt er als Vogelzüchter isoliert über den Dächern einer verheerten Großstadt. Es war, so viel erfahren wir, Krieg, und es steht, das ahnen wir, noch etwas weitaus Schlimmeres bevor. Inmitten dieser Dystopie, und da zeigt sich Valerie Fritschs Erzählprinzip, entwickelt sich eine so unerwartete wie absonderliche Liebesgeschichte. Anton lernt Frederike kennen, eine ehemalige Seefahrerin und Kämpferin im Krieg, die sich nun im städtischen Krankenhaus um die Neugeborenen kümmert. Zwischen Anton und Frederike entspinnt sich ein Verhältnis, in dem die beiden verloren Dahintreibenden erst durch ihr jeweiliges Gegenüber zu ihrem Ich zurückfinden. Einem Ich, das gleichzeitig geprägt ist von einer radikalen Bedingungslosigkeit und einer Konzentration auf den Augenblick.

Und auch hier geht es um die existentiellen Fragen: Wie verhalten sich, wie fühlen sich zwei Menschen, die in dem Bewusstsein leben, dass es kein Morgen mehr geben könnte. In der Unbedingtheit ihres Daseins eröffnet sich ein Weg in die persönliche Freiheit, und das inmitten einer Welt, in der die Natur zerstört und die Menschen verstört sind. Das macht "Winters Garten", wenn auch nicht auf den ersten Blick, zu einem Roman, der die Verunsicherungen und das Endzeitgefühl der Gegenwart aufnimmt und ins Extrem treibt. Und der in seiner Suche nach Auswegen, nach Möglichkeiten, nach Alternativen immer wieder auf die bloße Schönheit stößt.

In einer Schleifenbewegung führt Valerie Fritsch ihr Personal zum Ende des Romans wieder dorthin, wo alles angefangen hat: Heraus aus der Stadt, hinein in den Hortus conclusus, in den Garten der Kindheit. Dort sitzen und warten sie, worauf auch immer. Auf den großen Knall, auf des Ende, auf die Erlösung. "Joy Division" liefern den passenden Soundtrack dazu. Doch es scheint, als würde am düsteren Himmel dieses imposanten Romans am Ende doch wieder ein zartes, zaghaftes Licht flackern.

– Valerie Fritsch: Winters Garten. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 154 Seiten, 16,95 Euro.
Lesung: Die Autorin liest am 5. Mai um 20 Uhr in der Buchhandlung Schwarz, Freiburg, Günterstalstraße 44. . BZ-Redakteurin Bettina Schulte moderiert.
von Christoph Schröder
am Sa, 02. Mai 2015 um 00:00 Uhr

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