Abstieg in Parallelwelten

DOKUMENTATION: "Im Keller".

Wer "Österreich" und "Keller" hört, denkt wohl häufig zuerst an Josef Fritzl und dessen Gräueltaten: Rund 24 Jahre lang missbrauchte der Mann seine Tochter in einer unterirdischen Wohnung und zeugte mehrere Kinder mit ihr. Es sind dann auch diese Bilder, die man bei Ulrich Seidls Dokumentation mit im Hinterkopf hat. Immerhin steigt der österreichische Regisseur "Im Keller" hinab in die Parallelwelten seiner Landsleute. Was er dabei außer Partyräumen noch so zeigt, ist streckenweise durchaus verstörend.

Es gibt Hausfrauen in Waschküchen, Familien in ihren Partykellern und einen Hobby-Lokführer samt riesiger Modelleisenbahnwelt. Doch seinen Schwerpunkt legt der 62-jährige Seidl, der zuletzt mit seiner "Paradies"-Trilogie im Kino zu sehen war, weniger auf diese gewöhnlichen Kellernutzungen. Ihn interessieren vielmehr die eher absonderlichen Freizeitbeschäftigungen und Geheimnisse. Da ist eine Frau, die im Keller ihre täuschend echt aussehenden Babypuppen liebkost. Ein Waffennarr übt im unterirdischen Schießstand und trällert zwischendurch euphorisiert Opernarien. Ein Mann trifft sich im Keller mit seinen Freunden zwischen Nazi-Devotionalien und schwärmt von seinem schönsten Hochzeitsgeschenk: einem Hitler-Porträt. Und dann sind da noch die Sado-Maso-Fans, die im Keller ihre Fantasien ausleben.

Was dabei echt und was inszeniert ist, lässt Seidl offen. In seinen Filmen verschwimmen Realität und Fiktion zwar immer wieder, aber "Im Keller" tritt im Vergleich zu den vorherigen künstlerisch etwas auf der Stelle. Vor allem in der zweiten Filmhälfte wird man den Eindruck nicht los, Seidl sei so fasziniert von den Sado-Maso-Geschichten, dass er gleich mehrere Fans porträtiert und zu stark auf ihre Erzählungen fokussiert – auf Kosten der anderen Beispiele. Das ist schade, besteht der Reiz seiner Kelleridee doch eben darin, verschiedenste Welten und Lebensentwürfe zu entdecken, die einem sonst eher verborgen bleiben.
– "Im Keller" von Ulrich Seidl läuft in Freiburg. (Ab 16)
von dpa
am Do, 04. Dezember 2014

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