Durchs Glarnerland und darüber hinaus

Vom Klöntaler See zur Schwändi-Alp: Vom Durchgangsverkehr ist der kleine Schweizer Kanton weitgehend verschont, hier kommen Wanderer auf ihre Kosten.

V erkehrstechnisch betrachtet ist der kleine Schweizer Kanton Glarus ein Unding. Durchgangsstraßen gibt es praktisch keine, auch die Bahnlinie endet in Linthal. Nur am Rande wird der Kanton von der Autobahn und Eisenbahnstrecke Zürich-Chur tangiert. Die einzigen Durchgangsstraßen sind dies nur zeitweise: Die Straßen über Pragel und Klausenpass haben Wintersperren, und die schmale Pragelstraße ist obendrein am Wochenende für den Durchgangsverkehr gesperrt. Was so hoffnungslos abgelegen aussieht, ist für Urlauber und für Wochenendwanderer ein Segen. Denn vom Bahnhof Ziegelbrücke aus fahren die S-Bahnen nach Zürich und die ECs bis Freiburg und Amsterdam. Und auf der Autobahn kommt man schnell bis zur Ausfahrt Niederurnen, wo praktischerweise an der gleichnamigen Autobahnraststätte die einzige Touristen-Information des Kantons untergebracht ist.

Gerade mal 27 Gemeinden und 40 000 Einwohner hat der Kanton mit dem heiligen Fridolin im Wappen. Glarus ist nicht zuletzt deshalb so klein geblieben, weil in grauer Vorzeit beim Grenzstreit mit dem Nachbarkanton Uri ein Hahn verschlafen hat. Die Nachbarn hatten sich darauf geeinigt, den Konflikt friedlich so zu lösen, dass von jeder Seite des Klausenpasses beim ersten Schrei des Hahnes ein Läufer in Richtung Bergkamm starten sollte. Während die Urner ihren Hahn hungern ließen, fütterten die Glarner ihren so sehr, dass er verschlief. Weshalb sich die beiden auf der Glarner Seite trafen und der Urner Boden heute zu Uri gehört. Stolz sind die Glarner aber bis heute auf den Sieg in der Schlacht von Näfels 1388, bei der die Eidgenossen die übermächtigen Habsburger mit Steinen vertrieben und damit die Loslösung vom Habsburgerreich erzwangen. Das Ereignis wird noch heute jeden ersten Donnerstag im April mit einem Kantonsfeiertag begangen.

Die schmucke Kantonshauptstadt Glarus hat nur 5500 Einwohner und den Zaunplatz, auf dem sich die Landsgemeinde, die Versammlung aller stimmberechtigten Einwohner, am ersten Sonntag im Mai, einfindet. Im obersten gesetzgebenden Organ dürfen seit 1972 auch die Frauen mit abstimmen.

Zu Glarus gehört auch das Klöntal, ein landschaftliches Juwel, das mit seinem grünen Bergsee, der seit 1908 aufgestaut ist, nicht nur zum Baden einlädt, sondern auch zum Wandern - wie das ganze Glarnerland. Obwohl der See ein beliebtes Ausflugsziel - mit nicht unbedingt einladenden Temperaturen - für die Glarner Jugend ist, findet sich am Ufer immer noch ein Plätzchen. Und von einem solchen Platz am Nordufer kann man dann eine Tageswanderung in größere Höhen starten.

Die Dejenalp ist ein lohnendes Ziel, lockt sie doch nach wenigen Metern Wanderweg mit einem handgemalten Schild und verspricht Speis' und Trank. Die hat man nach gut 900 steilen Höhenmetern auch reichlich verdient, doch lohnt die Mühe nicht nur wegen des Ziels, sondern vor allem wegen des Wegs, der erst durch den Wald und dann auf üppige Bergwiesen führt. Der Blick zurück gilt immer wieder dem Klöntaler See und dem gegenüberliegenden Felsmassiv, dessen Spitzen auf bis zu 2900 Meter steigen. So hoch wollen wir nicht hinaus, so um die 1800 Meter ist der höchste Punkt, von dem es dann wieder ein ganzes Stück bergab zur Alphütte geht. Dort bleiben wir in angenehmer Umgebung so lange sitzen, dass nach dem Aufbruch aus Zeitgründen nur noch derselbe Weg zurück bleibt - angesichts des überwältigenden Panoramas, das man beim Abstieg ständig vor Augen hat, alles andere als eine Notlösung.

Noch zauberhafter als der Klöntaler See erweist sich der Obersee, dem wir bei der Fahrt von Näfels zum nächsten Ausgangspunkt nur einen verlängerten Blick gönnen können. Denn unser Ziel ist die Schwändi-Alp, eine Schutzhütte inmitten saftiger Bergwiesen auf 1230 Meter Höhe, beliebter Startpunkt für Wanderer, Kletterer und Mountainbiker. Umsonst ist das Vergnügen, hier seine Zelte aufschlagen zu dürfen, indessen nicht. Auf 19 Franken beläuft sich die Rechnung pro Tag für zwei Personen, ein Zelt und Auto oder ein Wohnmobil. Dafür beginnen die Wanderwege durchs hohe Glarnerland gleich hinter der Hütte. Wer von hier aus eine Tageswanderung unternimmt, erlebt selbst, wie klein der Kanton ist. Bereits nach ein paar Kilometern in Richtung Westen befindet man sich am Scheidegg im Kanton Schwyz. Hier biegen die Kletterer zu den Wänden rings ums "Bockmattli" ab, während die Wanderer die Qual mehrerer Wege in Richtung Wägistaler See haben. Die führen an Almhütten, dunkelbraunen Schafen und Rinderherden vorbei, wobei es richtig gut tut, mal wieder eine größere Zahl von Kühen zu sehen, die nicht ihrer Hörner beraubt wurden.

Grünblau strahlt uns das Ziel in der Nachmittagssonne entgegen, der Wägistaler See, Stausee und beliebtes Bootsrevier. Doch davon haben wir heute nichts - den Rückweg nimmt uns niemand ab. Und die ersten dunklen Wolken brauen sich schon zusammen.

Rolf Müller

Glarnerland: Infos unter [TEL] 0041/ 556 102 125 oder im Internet unter ww.glarnerland.ch; Wanderkarte Glarnerland/Walensee von Kümmerle + Frey.

am Fr, 10. September 2004

Badens beste Erlebnisse