"Es ist ein akkurates Bild jener Zeit"

TICKET-INTERVIEW: Der Regisseur Simon Curtis über seinen Film "Goodbye Christopher Robin".

Lange hat Simon Curtis (59) fürs britische Fernsehen gearbeitet. Erst 2011 wagte sich der gebürtige Londoner mit "My Week with Marilyn" an den ersten Kinofilm. In seinem neuen Film "Goodbye Christopher Robin" setzt er sich mit einer historischen Figur auseinander. Mit Alan Alexander Milne, Autor des Kinderbuchklassikers über den Teddybären Winnie Puuh. Inspiriert wurde er durch Sohn Christopher Robin und dessen Stofftiere. Markus Tschiedert traf Simon Curtis in London.

Ticket: Mr. Curtis, die meisten kennen Winnie Puuh nur durch die Disney-Filme und ahnen nicht, dass dahinter eine dunkle Familiengeschichte steckt. Wussten Sie mehr darüber, als Sie dieses Filmprojekt in Angriff nahmen?
Curtis: Wenn überhaupt, dann nur sehr wenig. Zwar habe ich "Winnie Puuh" auch als Kind gelesen, aber ich war jetzt nicht so verrückt danach, alles darüber wissen zu wollen. Mein Interesse wurde erst geweckt, als ich das Drehbuch bekam. Es war so reich und komplex, dass es mir wie eine Offenbarung vorkam.
Ticket: Was hat Sie an der Geschichte denn besonders angesprochen?
Curtis: Mir gefiel die Idee, die Hintergrundstory zu so einem berühmten Buch zu erzählen, die ja im Grunde genommen keiner kennt. Gleichzeitig geht es noch um so unglaublich viel mehr. Themen wie Kreativität, Familie und Ruhm konnten auf den Tisch kommen.
Ticket: Wie haben Sie die Hintergründe recherchiert?
Curtis: Ich selbst gar nicht so sehr, sondern die Drehbuchautoren, die sich wiederum mit Experten austauschten und Biografien gelesen haben. Erstaunlich fand ich dabei die Tatsache, dass Christopher Robin damals neben Shirley Temple und der jungen Elizabeth II. zu den ersten Kinderstars überhaupt gehörte. Deshalb konnte es seinen Eltern auch gar nicht klar sein, worauf sie sich einlassen würden, als sie ihn der Vermarktungsmaschinerie überlassen haben.
Ticket: Wie vorsichtig haben Sie dahingehend Ihren Darsteller für den kleinen Christopher Robin ausgesucht?
Curtis: Während des Drehens war das ziemlich einfach, weil ihn keiner kannte und er sich somit in einer Schutzblase befand. Die Frage ist, was mit Will Tilston nach Veröffentlichung des Films passiert. Das letzte Mal, dass ich ein Kind castete, das vorher noch nie vor der Kamera stand, war Daniel Radcliffe für die Rolle des David Copperfield. Er ist einen guten Weg gegangen, weil hinter ihm seine Familie stand, genauso wie jetzt bei Will. Das könnte das Erfolgsgeheimnis dahinter sein, damit Kinderstars nicht abdriften.
Ticket: Wie sind Sie auf Will Tilston gestoßen?
Curtis: Das war ein langer Prozess. Wir hatten viele Castings und gingen immer wieder an Schulen, um Kinder zum Vorsprechen einzuladen. Aus etwa 100 Jungen blieben schließlich drei übrig, die wir mit an den Drehort nahmen, um mit ihnen drei bis vier Szenen zu proben. Wir wollten wissen, wie geschwind sie sich auf lustige, kritische und traurige Szenen einlassen können. Das half uns sehr, den richtigen Darsteller zu finden. Aber letztendlich weiß man das auch als Regisseur erst, wenn man den fertigen Film vor sich hat. Insofern bin ich jetzt überglücklich, dass das mit Will so gut hingehauen hat. Ein berühmter Kollege sagte mal zu mir: "Du musst dich für das Kind entscheiden, das du wirklich magst." Und ich mag Will wirklich sehr.
Ticket: Wie gingen Margot Robbie und Domhnall Gleason mit dem Jungen am Set um?
Curtis: Total liebevoll! Sie waren beide sehr entspannt und einmal habe ich mit gehört, wie Domhnall zu Will sagte: "Morgen muss ich echt mies zu dir sein." Damit hat er den Jungen auf die Szene vorbereitet und später konnten die beiden das an- und abschalten. Sobald die Kamera lief, schalteten sie von lustig auf ernst.
Ticket: Wie realistisch ist im Film die Darstellung von Kindererziehung und Eheleben?
Curtis: Soweit ich das sagen kann, ist das ein ziemlich akkurates Bild jener Zeit. Man muss sich bewusst machen, dass in den 20er Jahren noch ein gewisser Klassenzwang herrschte. Es war daher etwas völlig Normales, wenn eine Mutter ihr Baby einer Nanny überließ. Ein Freund von mir ist auch in jener Zeit groß geworden und erzählte mir, dass ihn seine Mutter nur einmal in seinem Leben berührt habe. Das scheint etwas typisch Englisches zu sein und hat mich sehr betroffen gemacht.
Ticket: Wie reagierte man eigentlich bei Disney darauf, dass Sie diesen Film drehen?
Curtis: Soweit ich weiß, hat Disney die Markenrechte an Winnie Puuh und realisiert gerade einen eigenen Realfilm über Christopher Robin. Mehr weiß ich aber auch nicht, denn wir haben von Anfang an das Filmstudio 20th Century Fox hinter uns gehabt.
Ticket: Was interessiert Sie immer wieder an Geschichten über Personen, die tatsächlich existiert haben?
Curtis: Vielleicht kommen fiktive Geschichten langsam aus der Mode, und die Zuschauer wollen lieber Filme über reale Ereignisse sehen. Am Besten ist es, wenn man am Ende des Films glaubt, die echten Personen vor sich zu haben. Natürlich dient das alles dem Entertainment, gleichzeitig finde ich es sehr bewegend zu wissen, dass es wirklich passiert ist.
von tsc
am Fr, 08. Juni 2018

Info

GOODBYE CHRISTOPHER ROBIN

Regie: Simon Curtis
Mit Domhnall Gleeson, Margot Robbie, Kelly Macdonald, Will Tilston, Alex Lawther und anderen.
107 Minuten, frei ab sechs Jahren

Die Story
Als der Autor A. A. Milne (Domhnall Gleeson) aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrt, wird er Vater. Sein Sohn Christopher Robin (Will Tilston) liebt Stofftiere, besonders den Teddybären Winnie Puuh. Sein Vater sieht daran Potenzial für ein Kinderbuch, das sofort zum Bestseller wird. Der Erfolg birgt auch Schattenseiten.  

Autor: bz

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