Interview
Oliver Hirschbiegel: „Damit man diese Zeit riecht“
2004 wurde Oliver Hirschbiegel (57) mit "Der Untergang" über die letzten Tage Adolf Hitlers gefeiert. Sogar Hollywood holte ihn, wo er den Science-Fiction-Film "Invasion" drehte. Mit "Diana" widmete er sich den letzten Tagen der englischen Prinzessin vor deren Unfalltod 1997. Nun kehrt der Hamburger in die deutsche Vergangenheit zurück, indem er dem schwäbischen Widerstandskämpfer Georg Elser ein filmisches Denkmal setzt. Mit Oliver Hirschbiegel sprach Markus Tschiedert.
Ticket: Ist "Elser" ein Gegenentwurf zu "Der Untergang"?
Oliver Hirschbiegel: Als Gegenentwurf habe ich "Elser" nicht gesehen. Ich habe eher formale Parallelen gezogen und mich gefragt, warum "Der Untergang" weltweit funktionierte: Das war die "Heutigkeit", die der Film hatte. Ich fragte mich, wie ich das damals hergestellt habe, und sah mir mit meiner Kamerafrau Judith Kaufmann – sie hat den "Untergang" nicht gedreht – viele Filme von heute an, um dem wieder auf die Spur zu kommen. Ich glaube, "Elser" ist sogar noch ein bisschen heutiger geworden, ohne die damalige Zeit zu verraten.
Ticket: Warum ist das so wichtig?
Hirschbiegel: Für mich ist es das Schlimmste, wenn man bei einem historischen Film das Gefühl hat, wie mit einem langen Fernrohr in eine Klamottenkiste zu blicken. Es ist wichtig, den Zuschauer in diese Zeit hinein zu transportieren, damit er sie schmeckt, riecht und Teil der Handlung und der Figuren wird.
Ticket: Es geht in diesem Film um einen Mann, der seine Haltung bewahrt...
Hirschbiegel: Über Georg Elser wusste ich schon im Vorfeld viel und las das Drehbuch nur aus diesem Interesse. Doch ich war überrascht, wie viel mehr Recherche in diesem Buch steckte. Mein erster Gedanke dazu war Edward Snowden, der in einer Linie mit Elser steht, auch wenn Snowden kein Tyrannenmörder ist.
Ticket: Das müssen Sie erklären.
Hirschbiegel: Na ja, es ist dieses absolut selbstlose und eitelfreie Bedürfnis, etwas aufhalten zu müssen – nicht zuerst aus politischer, sondern aus zutiefst innerer Überzeugung, und wenn das kein anderer macht, muss ich es in die Hand nehmen. Auch wenn ich dabei mein Leben aufs Spiel setze und meine bisherige Existenz verliere. All das ist in Snowden zu sehen und geht in einer Linie auf Elser zurück.
Ticket: Die Folter- und Hinrichtungsszenen sind sehr heftig. Warum war das erforderlich?
Hirschbiegel: Das ist meine Verantwortung als Regisseur. Es ist ein schmaler Grat, den man bei Gewaltdarstellungen geht. Hier wollte ich die Verhörmethoden der Gestapo zeigen, und gerade als deutscher Regisseur war es meine Pflicht, Ross und Reiter zu zeigen. Das muss schmerzhaft sein, auch wenn man den Zuschauer nicht überfordern will und es auf keinen Fall voyeuristisch werden darf.
Ticket: Eine wichtige Rolle spielt dabei die Protokollantin...
Hirschbiegel: Die bei den Folterungen draußen sitzt und für mich eine Metapher ist – für uns Deutsche, für unsere Vorfahren, die nicht aktiv mitmachten, aber es durch ihr Schweigen letztlich möglich gemacht haben. Die Protokollantin spricht kaum, ist aber unheimlich präsent. Gleichzeitig stehen die Folterszenen aber auch wieder für die Gegenwart.
Ticket: Inwiefern?
Hirschbiegel: Zu meinem Erschrecken wird wieder gesagt, dass Folter unter bestimmten Voraussetzungen gestattet sein sollte, um anderen das Leben zu retten. Es ist ein Skandal für mich, dass darüber überhaupt diskutiert wird. Daher ist es nötig, solche Szenen zu zeigen. Ich sehe es als meine Pflicht, zu zeigen, dass es zwei Minuten dauert, jemanden bestialisch an einer Klaviersaite zu Tode zu strangulieren.
Ticket: Klaus Maria Brandauer befasste ich bereits 1989 filmisch mit Elser und nahm sich dabei einige Freiheiten heraus...
Hirschbiegel: Er musste es, weil das damalige Wissen über Elser weit hinter dem lag, was wir heute haben. Ich bin noch groß geworden mit dem Bild, dass Elser ein seltsamer Einzelgänger und Kommunist war, der sich in den Wahn verstiegen hätte, Hitler umbringen zu müssen. Brandauer hat mit diesem Bild aufgeräumt und war der erste, der ihn überhaupt auf die Leiter mit anderen Widerstandkämpfern stellte. Deshalb hatte mich sein Film damals sehr beeindruckt.
von tsc
Oliver Hirschbiegel: Als Gegenentwurf habe ich "Elser" nicht gesehen. Ich habe eher formale Parallelen gezogen und mich gefragt, warum "Der Untergang" weltweit funktionierte: Das war die "Heutigkeit", die der Film hatte. Ich fragte mich, wie ich das damals hergestellt habe, und sah mir mit meiner Kamerafrau Judith Kaufmann – sie hat den "Untergang" nicht gedreht – viele Filme von heute an, um dem wieder auf die Spur zu kommen. Ich glaube, "Elser" ist sogar noch ein bisschen heutiger geworden, ohne die damalige Zeit zu verraten.
Ticket: Warum ist das so wichtig?
Hirschbiegel: Für mich ist es das Schlimmste, wenn man bei einem historischen Film das Gefühl hat, wie mit einem langen Fernrohr in eine Klamottenkiste zu blicken. Es ist wichtig, den Zuschauer in diese Zeit hinein zu transportieren, damit er sie schmeckt, riecht und Teil der Handlung und der Figuren wird.
Ticket: Es geht in diesem Film um einen Mann, der seine Haltung bewahrt...
Hirschbiegel: Über Georg Elser wusste ich schon im Vorfeld viel und las das Drehbuch nur aus diesem Interesse. Doch ich war überrascht, wie viel mehr Recherche in diesem Buch steckte. Mein erster Gedanke dazu war Edward Snowden, der in einer Linie mit Elser steht, auch wenn Snowden kein Tyrannenmörder ist.
Ticket: Das müssen Sie erklären.
Hirschbiegel: Na ja, es ist dieses absolut selbstlose und eitelfreie Bedürfnis, etwas aufhalten zu müssen – nicht zuerst aus politischer, sondern aus zutiefst innerer Überzeugung, und wenn das kein anderer macht, muss ich es in die Hand nehmen. Auch wenn ich dabei mein Leben aufs Spiel setze und meine bisherige Existenz verliere. All das ist in Snowden zu sehen und geht in einer Linie auf Elser zurück.
Ticket: Die Folter- und Hinrichtungsszenen sind sehr heftig. Warum war das erforderlich?
Hirschbiegel: Das ist meine Verantwortung als Regisseur. Es ist ein schmaler Grat, den man bei Gewaltdarstellungen geht. Hier wollte ich die Verhörmethoden der Gestapo zeigen, und gerade als deutscher Regisseur war es meine Pflicht, Ross und Reiter zu zeigen. Das muss schmerzhaft sein, auch wenn man den Zuschauer nicht überfordern will und es auf keinen Fall voyeuristisch werden darf.
Ticket: Eine wichtige Rolle spielt dabei die Protokollantin...
Hirschbiegel: Die bei den Folterungen draußen sitzt und für mich eine Metapher ist – für uns Deutsche, für unsere Vorfahren, die nicht aktiv mitmachten, aber es durch ihr Schweigen letztlich möglich gemacht haben. Die Protokollantin spricht kaum, ist aber unheimlich präsent. Gleichzeitig stehen die Folterszenen aber auch wieder für die Gegenwart.
Ticket: Inwiefern?
Hirschbiegel: Zu meinem Erschrecken wird wieder gesagt, dass Folter unter bestimmten Voraussetzungen gestattet sein sollte, um anderen das Leben zu retten. Es ist ein Skandal für mich, dass darüber überhaupt diskutiert wird. Daher ist es nötig, solche Szenen zu zeigen. Ich sehe es als meine Pflicht, zu zeigen, dass es zwei Minuten dauert, jemanden bestialisch an einer Klaviersaite zu Tode zu strangulieren.
Ticket: Klaus Maria Brandauer befasste ich bereits 1989 filmisch mit Elser und nahm sich dabei einige Freiheiten heraus...
Hirschbiegel: Er musste es, weil das damalige Wissen über Elser weit hinter dem lag, was wir heute haben. Ich bin noch groß geworden mit dem Bild, dass Elser ein seltsamer Einzelgänger und Kommunist war, der sich in den Wahn verstiegen hätte, Hitler umbringen zu müssen. Brandauer hat mit diesem Bild aufgeräumt und war der erste, der ihn überhaupt auf die Leiter mit anderen Widerstandkämpfern stellte. Deshalb hatte mich sein Film damals sehr beeindruckt.
von tsc
am
Do, 09. April 2015
ELSER
Regie: Oliver Hirschbiegel
Mit Christian Friedel, Burghart Klaußner, Katharina Schüttler, Johann von Bülow, Felix Eitner u. a.
114 Minuten, frei ab 12 Jahren
Die Story
Am 8. September 1939 wird im Münchner Bürgerbräukeller ein Attentat auf Adolf Hitler verübt. Der "Führer" überlebt, und der Attentäter ist schnell gefasst: Georg Elser (Christian Friedel), ein Schreiner aus dem schwäbischen Königsbronn. Elser wird von der SS und Kripochef Arthur Nebe (Burghart Klausner) verhört und gefoltert. Keiner glaubt, dass er die Bombe allein gebaut hat und keine Hintermänner hatte...
Autor: bz